PUBLISHED 12.02.2022

 

Bild: https://unsplash.com/@etien_nl

Wenn die Menschheit sich demnächst von ihren selbst-auferlegten Fesseln befreit, wenn Himmel und Erde wieder offen stehen, dann werden auch Sie endlich die öfters verschobene Reise antreten. Dann sollten Sie, zur Feier des Tages, als selbstbestimmter und aktiver Passagier an diesem Flug teilnehmen und sich nicht wie ein „Self boarding luggage“, wie ein Koffer mit zwei Beinen auf Ihren Sitz fallen lassen, um dann stundenlang auf die Rückenlehne des Vordermanns zu starren, wo eine uralter James Bond Film läuft. Der bevorstehende Trip durch die Stratosphäre mit Mach 0,8 ist wesentlich interessanter.


Der aufgeklärte Passagier

Ein Flug kann sein wie eine Oper: nervtötend oder berauschend. Wenn man nicht weiß, worum es geht, dann sind es drei Stunden Musik mit lauten Stimmen, mit Blättern im Programmheft und Warten auf die nächste Pause. Andererseits, wenn Sie am Geschehen teilhaben, dann ist es ein Erlebnis, welches Sie für den Rest des Lebens begleitet. Voraussetzung dafür ist, dass man versteht, was gerade passiert.

Ich möchte einen aufgeklärten Passagier aus Ihnen machen, einen der versteht, was in der Luft passiert. Fangen wir ganz einfach an.

Wenn Sie in einem Flugzeug nach vorn durch die Scheibe schauen, dann sehen Sie oben blau und unten grün. Der Himmel ist oben und die Landschaft unten – das ist eine gute Nachricht. In einer Wolke würden Sie, oder der Pilot, das nicht mehr sehen. Der Flieger würde sich dann bald auf die Seite oder auf den Rücken legen, ohne dass Sie es merken. Dann würde er in einer Spirale nach unten trudeln und es gäbe keine Rettung mehr.

 

Ratlos durch die Wolken

Vielleicht wenden Sie ein, sie bräuchten den Himmel nicht, um zu wissen, wo oben ist, das hätten Sie im Gefühl. Das mag stimmen, wenn Sie am Schreibtisch sitzen, aber nicht im Flugzeug. Da halten die Bewegungen in drei Dimensionen Ihre Sinne zum Narren. Man hat Versuche in Simulatoren gemacht und echten Piloten den Blick auf Himmel und Erde versperrt. Nach durchschnittlich drei MInuten wusste keiner mehr wo oben und unten war. Sie alle endeten in einer (simulierten) „Todesspirale“.

Tragischer Weise passiert so etwas auch in der Wirklichkeit; es ist die häufigste Ursache für tödliche Unfälle in kleinen Flugzeugen. So verunglückte 1999 John F Kennedy Jr. mit zwei Passagieren in seiner eimotorigen Maschine bei Nacht und schlechter Sicht, weil er die Orientierung verloren hatte, weil er nicht mehr wusste, wo oben und unten war.

Bild: Pilotsafety.org

 

Himmel und Erde im Cockpit

Wenn wir bei schlechtem Wetter fliegen wollen, dann müssen wir uns Himmel und Erde ins Cockpit holen, so wie im Bild. Da ist ein kleiner Bildschirm mit oben blau und unten braun. Die Trennlinie ist der Horizont. Vielleicht protestieren Sie jetzt, weil der nicht „horizontal“ ist. Aber schauen Sie aus dem Fenster- noch ist gutes Wetter und Sie können den echten Horizont sehen: Auch der ist schief. Das liegt daran, dass der Flieger gerade eine Linkskurve fliegt.

Neben diesem „künstlichen Horizont“ sind noch ein paar andere Anzeigen zu sehen, etwa für Höhe und Geschwindigkeit. Und rechts daneben ist ein Kompass, damit wir wissen in welche Richtung es geht. Jetzt können wir getrost in die Wolken fliegen. 

Wir rauschen jetzt also mit 900 km/h durch die Gegend und sehen nicht weiter als den einen Meter bis zu zur Frontscheibe. Ist das nicht gefährlich? Da könnten ja noch andere unterwegs sein, und mit denen wollen wir nicht zusammenstoßen.

 

Die Airliner machen das immer

Dieser Typ von Fliegerei heißt Instrumentenflug, und weil wir uns ja den Luftraum mit anderen Fliegern teilen, braucht man Spielregeln. Das sind die Instrumentenflug Regeln, kurz IFR. Die sorgen dafür, dass unser „Blindflug“ sicher ist.

Das geht nicht ohne externe Hilfe, und die kommt von “Air Traffic Control (ATC)”. Vor dem Start verraten wir den freundlichen Helfern von ATC wohin wir wollen, dann können die uns auf Radar verfolgen, so ähnlich wie hier . Über Funk sagen sie uns, in welche Höhe wir dürfen und ob wir jemandem ausweichen sollen – vielleicht auch einem Gewitter.

Airliner fliegen immer nach IFR, auch wenn herrliches Wetter ist. Das macht das Leben für alle  Beteiligten einfacher, denn ATC kümmert sich darum, dass man einander nicht zu nahe kommt.

 

Das Wespennest

Vielleicht haben Sie sich beim Frühstück auf dem Balkon schon gefragt, wo all diese Brummer in ihren gelben Westen herkommen, die sich in die Marmelade stürzen. Meist ist die Ursache ein Wespennest unter der Dachrinne, in dessen Nähe die Dichte der Flugobjekte besonders hoch ist. Ähnlich ist es, wenn wir uns im Flieger dem Ziel der Reise nähern: Um den Flughafen herum, dem Wespennest der Boeings und Airbusse, ist deutlich mehr los als unterwegs. Diesen letzten Teil der Reise wollen wir uns etwas genauer anschauen.

Wir fliegen vielleicht von Palma nach München und sind nach zwei Stunden da. Wenn wir jetzt in 10 km Höhe über München ankommen, was dann? Wir sollten doch am Boden sein. Also wird der Kapitän, vorausschauend wie er ist, schon über den Alpen die Motoren drosseln und die charmanten Flugbegleiterinnen informieren uns, dass wir jetzt die Reiseflughöhe verlassen haben, und dass wir uns anschnallen sollen.

In der Nähe des Flughafens sind wir dann schon niedriger und in den Wolken. Jetzt wollen wir landen. Wir kommen von Mallorca, unsere Flugrichtung ist also etwa Nordosten. Landen müssen wir aber immer gegen den Wind, und weil Westwind ist, gibt uns ATC die Landebahn 26L. Das L sagt uns, dass es die linke der beiden parallelen Bahnen ist und das 26 steht für die Himmelsrichtung, und zwar für 260°, das ist etwa West – und es ist genau die andere Richtung. Wir fliegen ja gerade Richtung Nordosten.

Bild: code 7700 / Jeppesen

Dumm gelaufen

Wir rauschen also gerade durch die Wolken Richtung Nordosten und sollen nach Westen landen. Dumm gelaufen. So geht’s nicht. Deswegen haben sich die Leute von ATC überlegt, dass wir uns schon viel früher auf unsere Landung vorbereiten müssen. Vielleich 100km vom Flughafen, vielleicht über dem Ammersee und 1000 m über Grund schicken sie uns nach Ottersberg, einem bayerischen Dorf, 20 km südlich vom Flughafen. Dort sollen wir warten.

Wie soll das gehen? Sollen wir in 1000 m Höhe auf den Parkplatz fahren? Nein, wir sollen ins „Holding“, d.h. wir sollen so lange im Oval um einen bestimmten Punkt kreisen, bis wir mit dem Landen an der Reihe sind. Auf der Karte sehen Sie dieses Oval, von mir für Sie gelb markiert. Wenn uns ATC dann zum Landen ruft, dann fliegen wir nach rechts oben, nach Nordosten, in 5000 Fuß über dem Meeresspiegel oder 1000m über Grund, bis wir 15,4 nautische Meilen = 28 km geflogen sind, dann geht’s in eine Linkskurve.

Jetzt schießen wir uns auf die Landebahn (blau markiert) ein, die in 20 km vor uns liegt, die wir aber nicht sehen, weil wir immer noch in der Wolken sind. Da gibt es nun hilfreiche Funkfeuer, die uns genau sagen, ob wir zu weit rechts oder links sind, und ob die Höhe stimmt, 

Bild: Garmin

The Eagle has landed

Da haben wir natürlich ein Instrument im Cockpit, das uns die links-rechts / oben-unten Abweichung genau anzeigt. So gleiten wir also dem Erdboden zu, ohne dabei zu vergessen, die Landeklappen auszufahren, damit wir bei der niedrigen Geschwindigkeit nicht runterplumpsen, und an das Fahrwerk müssen wir auch denken. Nebenher schauen wir auf den Höhenmesser, und wenn der uns sagt, dass wir 200‘ = 60m über Grund sind, dann schauen wir nach langer Zeit mal wieder aus dem Fenster und nicht auf die Instrumente.

60m ist die „Entscheidungshöhe“, hier entscheiden wir, ob wir landen oder nicht. So jedenfalls ist es bei “CAT I”; bei Cat II und CAT III ist es anders, aber das ist auch eine andere Geschichte.

Voraussetzung ist, dass wir die Piste mit den eigenen Augen sehen können, oder zumindest die diversen Beleuchtungen, die uns zur Piste leiten. Heute haben wir Glück und wir können landen. Dazu fliegen wir jetzt ganz nah über die Piste, werden immer langsamer – vielleicht bis 200km/h – und setzen die Räder auf. Die müssen jetzt allerdings vom Stillstand innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde auf Autobahn-Speed hochdrehen. Dafür sorgt der Asphalt. Es quietscht und kleine Rauchwolken puffen weg.

Das ist der Moment, wo fachkundige Passagiere dann sagen, „Das war aber (k)eine gute Landung!“ Das sanfte Aufsetzen hängt aber weniger vom Piloten ab, als vom Wetter, genauer gesagt vom Wind.

Zum Landen sollte das Flugzeug ja in Richtung der Bahn fliegen. Wenn es uns gelungen ist, von Palma bis Ottersberg die Nase vom Flieger in die richtige Richtung zu halten, dann sollte das auf dem letzten Metern doch auch gehen, oder? Ich schlage vor, sie werfen einen kurzen Blick auf dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=bMUdXJPUwm8

Das sollte Ihnen zeigen, dass bei Seitenwind die Sache nicht so einfach ist. Der Pilot muss die Nase (des Flugzeuges) in einem bestimmten Winkel gegen den Wind halten, um nicht seitlich von der Bahn geblasen zu werden, kurz vor dem Aufsetzen aber muss es dann parallel zur Bahn sein. Da hat der Pilot alle Hände und Füße voll zu tun und der Beifall der Passagiere aus der Eco für eine „sanfte“ Landung ist ihm dann ziemlich egal.

Vielleicht sagen Sie, der Computer an Bord könne doch automatisch landen. Nicht ganz. Zunächst muss der Pilot in jeder Situation in der Lage sein, die Maschine ohne „Computer“ zu fliegen. Und „automatisches Landen“ geht bei Seitenwinden wie in dem Video nicht. Da muss der Mann oder die Frau am Steuer dann schon zeigen ob er/sie „the right stuff“ hat.

 

Unsere Landung in München aber war undramatisch und liebe Freunde warteten schon, um uns abzuholen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen verständlich machen, warum die Flieger vor dem Landen immer so viele Kurven fliegen und wünsche Ihnen einen spannenden Aufenthalt an Bord bei Ihrem nächsten Flug.

 

 


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2 Comments
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Monika Studer
2 years ago

Danke lieber Hans,dass Du uns immer wieder an Deinem fulminanten Wissen teilhaben lässt! 🙋‍♀️👍👍👍👍🌞🙋‍♀️ m

Kenan Meyer
2 years ago

kleine Besserwisserei, sorry: “self loading cargo” ist der abfällige Ausdruck für Passagiere.