published 24.12.2022

Bild: T. Selin Erkan / unsplash

 

Ein außergewöhnlicher Tag

Der 21. Juli 356 v. Chr. ist ein außergewöhnlicher Tag im Kalender des klassischen Altertums. In Mazedonien erblickte Alexander der Große das Licht der Welt und in Ephesus wurde ein bedeutendes Bauwerk durch Flammen zerstört: der Tempel der Artemis, der Göttin der Jagd und des Lebens.

Seine perfekte Schönheit, die Harmonie der Gestaltung im Großen sowie im Detail, hatten dem Tempel einen Platz unter den sieben Weltwundern beschert. Baumeister aus Kreta, unter der Leitung des genialen Chersiphron, hatten 200 Jahre zuvor im Auftrag des Königs Krösus von Lydien dieses Wunderwerk aus Marmor errichtet. Zu Recht wurden diese Architekten auch noch nach ihrem Tode für die schöpferische Leistung gefeiert und verehrt. Ihr Werk hatte sie unsterblich gemacht.

Aber nicht für alle war dieses Ergebnis menschlicher Kreativität, dieses Symbol klassischer Schönheit ein Quell der Freude. Eine Person, die vielleicht selbst weder mit großer Schönheit, noch mit Intelligenz oder Kreativität gesegnet war, könnte auf den Ruhm der Meister neidisch sein – und genau solch ein Neider war ein gewisser Herostratos. Der hatte bislang in seinem Leben wenig Nützliches oder Schönes geschaffen und konnte auch nicht hoffen, jemals durch Leistung berühmt zu werden.

Dieses Ressentiment trieb ihn dann zu einer Tat, die ihn unsterblich machen sollte. Er ließ jenes Objekt perfekter Schönheit, dieses vollendete Zeugnis menschlicher Genialität und Schaffenskraft in Flammen aufgehen.

 

Die Stärken und Schwächen der Seele

Herostratos hatte also sein Ziel erreicht: Als Brandstifter des Artemis Tempels zu Ephesus ging er in die Geschichte ein.

Die Psychologie des Menschen, die Stärken und Schwächen seiner Seele haben sich seit der Antike kaum verändert, und so könnte es durchaus sein, dass Nachfahren des Herostratos, seine Brüder und Schwestern im Geiste immer noch unter uns weilen. Da könnte es auch heute Personen geben, die vielleicht weder mit hoher Intelligenz noch Schaffenskraft gesegnet sind, die bislang in ihrem Leben weder Nützliches noch Schönes geschaffen haben. Und diese könnten voller Missgunst auf Leistungen schauen, die geniale und tatkräftige Personen in der Vergangenheit zum Segen der Menschheit erbracht haben. Und in deren Seele könnte dann vielleicht derselbe zerstörerische Trieb erwachen, von dem auch Herostratos besessen war.

Aber was könnte in heutiger Zeit das Objekt solchen Hasses sein? Nun, seit der Steinzeit kannte der Mensch nur eine einzige Quelle für Wärme: das Feuer. Doch dann, im 20. Jahrhundert n. Chr. entdeckten kluge Wissenschaftler eine neue Energiequelle, die millionenfach stärker war als das Verbrennen von Holz oder Kohle: die Kernspaltung. Diese Entdeckung und die Genialität von Ingenieuren brachten dann ein Weltwunder hervor, welches sich mit den Bauwerken der Antike zweifellos messen kann: Die Kernkraft.

Und genau darauf richtet sich der Hass der modernen Herostraten.

 

Philippsburg, ein Ephesus der 21. Jahrhunderts

Im Gegensatz zu ihrem antiken Vorläufer, der ein Einzeltäter war und der für sein Verbrechen hingerichtet wurde, agieren die heutigen Herostraten in Gruppen, in großen Gruppen. Sie haben Macht und Einfluss errungen und sie brauchen, anders als Hersostratos, keine Strafe zu befürchten.

Und so wurde dann am 18. Mai 2020 ein moderner Artemis-Tempel das Opfer ihres Hasses. Die Kühltürme des Kernkraftwerks Philippsburg wurden in einer Orgie der Schadenfreude in die Luft gesprengt, und die Energiequelle für Millionen Haushalte im Lande war damit vernichtet.

Die Strafe, welche die modernen Herostraten jetzt ereilt ist vergleichsweise sanft: Energie sparen und kalt duschen. Aber nicht nur das: den Zusammenhang zwischen ihrem zerstörerischen Tun und der Stromknappheit zu erkennen, das würde ihre kognitive Leistungsfähigkeit ohnehin überfordern.

 


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5 Comments
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Gustl Grillenberger
1 year ago

Die methodisch arbeitende Leistungsgesellschaft wurde verlassen – wir leben heute in einer volatilen Erfolgsgesellschaft.Der Erfolg vieler Gruppen hängt somit an der Dummheit der Bewunderer/Befürworter…(frei nach Heiner Geissler).An der Verdummung der Bürger arbeiten wir beharrlich (Leitmeinungen,Psychologie der Massen) und schaffen so zwar kaum noch sinnvolle Errungenschaften–machen aber Kennzahlen-Erfolge daraus! Die Luft muss… Read more »

Dr. Joachim Vonalt
1 year ago

Von der Sache her haben Sie Recht. Um politisch etwas zu bewegen, reicht das nicht. Erforderlich wäre die Weckung der Gesprächsbereitschaft der Gegenseite. Die Herstellung von Compliance ( https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/compliance/2937 ) gelingt jedoch nicht, indem man den Gegner für blöd erklärt, auch wenn es stimmt. Für diejenigen, die ohnehin schon wie… Read more »

Herr Hell
1 year ago

Compliance auf Knopfdruck oder durch Nudging erzeugen können zu wollen, ist eine dieser typischen psychologischen Allmachtsfantasien, die mich schon vor vielen Jahren dazu brachten, die Psychologie (ich bin diplomierter Psycho) an den Nagel zu hängen. Das Problem, das Herr Hoffmann-Reinecke beschriebt, scheint mir dann auch ein ganz anderes zu sein,… Read more »

Dr. Joachim Vonalt
1 year ago
Reply to  Herr Hell

Ihr YouTube- link funktioniert leider nicht. („Dieses Video ist nicht verfügbar“ Statt Nudging könnte „Annehmen“ funktionieren, z.B.“Die Grünen wollen eine saubere, lebenswerte Umwelt erhalten. Das ist ein wichtiger Wert“. Und dann in ganz kleinen Schritten vorgehen (was passiert, wenn Eiswürfel, die imWasser im Messbecher schwimmen, schmelzen) und dabei immer auf… Read more »

Herr Hell
1 year ago

Der Link führt inzwischen in der Tat ins Nirvana, derweil das Video bei Youtube aber noch vorhanden ist. Dann eben hier: das Video verliest lediglich diesen “ewigen” Text:
https://de.wikisource.org/wiki/Von_der_Dummheit
Ich wünsche – ganz ohne Hintergedanken – eine schöne Weihnacht!