Der letzte Weltkrieg hat zwei Erbschaften hinterlassen, welche jegliche Vorstellung von Horror und Zerstörung um Größenordnungen über­treffen. Sie werden die Menschheit bis ans Ende ihrer Tage verfolgen, und beide sind letztlich die Ursache für den aktuellen Konflikt um das nukleare Programm der Islamischen Republik Iran.


Die IAEA in Wien

Die erste der Erbschaften ist die Atombombe, welche ihre apokalyptische Gewalt im August 1945 in Japan demonstrierte. Um dieses Mord­instrument nicht jedermann zugänglich zu machen, bemühten sich die vier Siegermächte, nachdem sie alle bereits ihre eigenen Bomben hatten, den übrigen Ländern der Erde den Zugang zu Atomwaffen zu versperren. Das führte zur Gründung der Internationalen Atombehörde (IAEA) in Wien unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Dieses Kontrollsystem operiert auf freiwilliger Basis. Die UNO hat ja keine Befugnis, in ein Land einzumarschieren, um es nach Bomben zu durch­kämmen. So trifft die IAEA mit den Regierungen eine bilaterale Verein­barung – das „Non Proliferation Treaty (NPT)“ –, durch welche ein Land sich verpflichtet, keine Bomben zu bauen. Zur Verifizierung dieses Versprechens gewähren die Regierungen dann den Inspektoren der IAEA Zugang zu den relevanten nuklearen Anlagen in ihrem Land. Dazu sind ein paar erklärende Worte in Sachen Physik notwendig.

 

Uran, Atomstrom und die Bombe

Uran ist ein natürlicher Rohstoff, dessen Energiegehalt je Kilogramm das Millionenfache der gleichen Menge an Kohle oder Öl beträgt. Dieses enorme Potenzial kann kontinuierlich über Jahre hinweg freigesetzt werden, etwa zur Erzeugung von Elektrizität in einem Kernreaktor, oder aber innerhalb des Bruchteils einer Sekunde in der Atombombe.

Uran, so wie es in der Natur vorkommt, ist jedoch weder für den einen noch für den anderen Zweck geeignet. Es besteht nämlich aus zwei Komponenten, von denen nur die eine Energie liefert. Ausgerechnet dieser Anteil macht aber weniger als ein Prozent aus und muss für technische Anwendungen „angereichert“ werden: für Reaktoren auf 4 Prozent, für Bomben auf 90 Prozent.

Der schwach angereicherte Brennstoff für einen Reaktor kann nicht zum Bau von Bomben missbraucht werden, und ein Reaktor kann aus dem gleichen Grund auch nicht wie eine Bombe explodieren, wenngleich oft das Gegenteil suggeriert wird. Auch in Tschernobyl hatte es keine Atomexplosion gegeben, sonst wären die Operateure des Reaktors, welche den Unfall ausgelöst hatten, nicht am Tag danach wieder zur Arbeit erschienen.

Die IAEA befürwortet friedliche Nutzung von Kernenergie. Sie steht dem Bau und Betrieb von Reaktoren nicht im Wege. Um sicherzustellen, dass entsprechendes Uran nicht für Bomben missbraucht wird, muss sie nur jegliche Anreicherung über die besagten 4 Prozent hinaus unterbinden. Die Anlagen für solch einen Prozess sind riesig; sie bestehen aus tausenden Zentrifugen, die man nicht in einer Garage vor den Inspektoren der IAEA verstecken kann.

Wie effizient funktioniert die Kontrolle also in der Praxis? In den Fünfziger­jahren gab es die vier erwähnten „Waffenstaaten“ USA, UdSSR, UK und Frankreich; heute gibt es vermutlich derer zehn. Der Grund: Die IAEA ist ein zahnloser Tiger, denn sie kann nur das kontrollieren, was man ihr frei­willig zeigt. Und ein Staat, der kein NPT unterschrieben hat, kann ohnehin machen, was er will. Davon gibt es ein halbes Dutzend.

 

Israel und seine Kernwaffen

Soweit die atomare Erbschaft des Weltkriegs. Die zweite Hinterlassen­schaft, welche jegliche Vorstellung von Horror und Grausamkeit um Größenordnungen übertrifft, ist der Holocaust – die systematische Ermor­dung von sechs Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Um den Überlebenden nach dem Krieg eine sichere Heimat zu bieten, wurde der Staat Israel gegründet. Die arabischen Nachbarn allerdings ließen bei den neuen Siedlern nicht die Illusion aufkommen, dass sie willkommen seien. Man werde ihren Staat von der Landkarte radieren und die Juden ins Meer treiben. Dass so etwas keine leere Drohung sein muss, hatte man ja erfahren.

Ben Gurion, der erste Premierminister Israels, sah nur eine Möglichkeit, um die Existenz des kleinen Landes zu sichern, das von großen feindlichen Mächten umgeben war: Israel brauchte Atombomben. Falls dann arabische Panzer über die Grenze kämen, falls Bomben auf Tel Aviv oder Haifa fielen, dann könnte man nuklear zurückschlagen und Damaskus oder Bagdad oder Teheran zerstören. Man wäre bereit zu einem vernich­tenden Gegenschlag. Mit konventionellen Waffen wäre Israel dazu nicht in der Lage. So entwickelte Israel also Atombomben.

Diese Strategie der Abschreckung geht aber nur auf, solange keiner der Nachbarn selbst Atomwaffen hat. Wird sich Israel nun darauf verlassen, dass die IAEA genau das garantiert? Anscheinend nicht, denn als 1981 im Irak ein Reaktor zur Erzeugung von Plutonium einsatzbereit war, da wurde dieser noch rechtzeitig von der israelischen Luftwaffe zerstört. (NB: Neben Uran kann auch Plutonium in Bomben verwendet werden. Dieser Stoff kommt nicht in der Natur vor, er entsteht nebenher beim Betrieb eines Reaktors und kann in einem sehr komplizierten Verfahren extrahiert werden. Das war im Irak offensichtlich geplant.)

Es sollte nicht der einzige Militärschlag Israels zur Wahrung seiner nuklearen Hegemonie bleiben. In 2007 flog man einen ähnlich erfolgreichen Angriff auf eine Installation in Syrien. Damit die angreifen­den Flugzeuge auf dem Weg durch den syrischen Luftraum unentdeckt blieben, hatte der israelische Geheimdienst den Computer der syrischen Luftwaffe gehackt. Die Radar-Operateure sahen auf ihren Schirmen jetzt ein gefälschtes Bild, ohne die israelischen Jets. Nach erfolgter Mission schalteten die Hacker den Computer wieder auf Normalbetrieb.

 

Angereichertes Uran

Diese Hintergrundinformationen sind notwendig, um zu verstehen, worum es beim „Iran Nuclear Deal“, d. h. den Verhandlungen von USA, Frankreich, Russland, China, England, Deutschland („5+1“) mit dem Iran ging.

Der Iran war seit Zeiten des Schahs an ein NPT gebunden. Man betrieb eine Reihe von Anlagen zu Forschungszwecken, die regelmäßig von Inspektoren der IAEA besucht wurden. Die Aktivitäten wurden nach der islamischen Revolution 1979 intensiviert. 2003 wurde bei Inspektionen zu hoch angereichertes Uran gefunden, worauf die IAEA den Iran zum sofortigen Stopp der Aktivitäten aufforderte – ohne Erfolg.

2005 kam Mahmoud Ahmadinejad an die Macht, und die nuklearen Aktionen gingen ungebremst weiter. 2007 beschuldigte man den Iran öffentlich des Bruchs des unterzeichneten Non Proliferation Treaty, und der UN-Sicherheitsrat verhängte schmerzhafte Sanktionen, darunter das Einfrieren ausländischer Konten. Im Zentrum der Kritik stand eine Anlage in Natanz, wo auf hunderttausend Quadratmetern, unterirdisch in einem betonierten Bunker, die Anreicherung von Uran im militärischen Maßstab betrieben wurde. Hier surren tausende von Zentrifugen vor sich hin, geschützt gegen Angriffe aller Art.

Oder fast aller Art. Jedenfalls ereigneten sich dort 2010 eine Reihe mysteriöser Störfälle: Zentrifugen, die im Normalbetrieb schon mit 60.000 RPM rotierten, fingen an, noch schneller zu drehen, und zerstör­ten sich selbst explosionsartig, insgesamt tausend an der Zahl. Man identifizierte später den bösartigen Computerwurm „Stuxnet“ im Computer, der die Anlage steuerte.

Der Absender des Wurms blieb unbekannt, aber vielleicht hatte auch hier Israel die Hand im Spiel. Man wollte nicht abwarten, ob und wann die Maßnahmen von Sicherheitsrat und IAEA endlich greifen würden. Immerhin hatte der Iran ja im vergangenen Jahrzehnt, trotz Theater­donner, ziemlich ungestört seine nuklearen Ambitionen verfolgen können. Und auch die Tatsache, dass während all dieser Zeit ein Ägypter oberster Chef der IAEA gewesen ist, wird das Vertrauen Israels in die Behörde nicht gefestigt haben.

 

Das „friedliche“ Atomprogramm des Iran

2013 kommt Hassan Rouhani im Iran an die Macht. Als seine primäre Aufgabe sieht er die Befreiung des Landes von den seit sechs Jahren wirksamen Sanktionen. Es beginnen Gespräche mit den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland. Nach immerhin zwei Jahren harter Arbeit einigt man sich auf einen „Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA)“, der Randbedingungen für Irans nukleares Programm für die kommenden 15 Jahre vorgibt. Die friedliche Natur des Programms wird in dem umfangreichen Dokument betont, das Wort Israel fällt kein einziges Mal.

An dieser Stelle eine Bemerkung zu dem häufig verwendeten Begriff „friedliche Anwendung von Kernenergie“. Primär ist das Strom­erzeugung. Dazu kauft ein Land einen Reaktor von Rosatom in Russland oder von Areva in Frankreich, die sich dann auch um Brennstoff und Training der Operateure kümmern. Es ist kein nationales „Nukleares Programm“ dafür notwendig. Ein Land, das eine Airline gründen will, fängt auch nicht damit an, eigene Jets zu entwickeln; es kauft die Flieger bei Airbus oder Boeing oder secondhand. Es braucht kein eigenes „Luft- und Raumfahrt-programm“.

Eine weitere friedliche Anwendung von Nukleartechnik ist die Herstellung gewisser Substanzen („Isotope“) für medizinische Zwecke. Die riesigen Anlagen im Iran würden ausreichen, sämtliche Kliniken der Milchstraße mit solchen Isotopen zu versorgen. Dabei hat der Iran selbst keine so hoch entwickelte medizinische Versorgung, dass das Material unbedingt vor Ort gefertigt werden müsste. Immerhin kommen kranke Würdenträger vom Iran nach Europa zur Behandlung. So sorgte etwa 2018 der Aufenthalt eines hohen iranischen Richters in einem Hannoveraner Krankenhaus für Aufsehen.

Auch wenn der Iran plötzlich Interesse an kernphysikalischer Forschung hätte, so unwahrscheinlich das sein mag, es wäre kein Grund für die Anreicherung von Uran in industriellem Maßstab, so, wie das gegenwärtig geschieht. Die einzige vernünftige Annahme ist, dass der Iran nach wie vor an der Herstellung von Bomben arbeitet, dass der JCPOA diese Aktivitäten kaum beeinträchtigt, dass dafür aber die Handels­beschrän­kungen gegen den Iran erst einmal aufgehoben sind.

 

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Wieso haben die 5+1-Unterzeichner bei dem Spiel mitgemacht? Man muss vermuten, dass hier entweder echte Unwissenheit oder aber „Zweck­naivität“ geherrscht haben. Denn die 5+1 sind ja ebenfalls an ungestörten Handelsbeziehungen mit dem Iran interessiert. Und das mit der Bombe wird schon nicht so schlimm werden. Ob Federica Mogherini, die hohe Vertreterin der EU, genau wusste, was sie da unterschrieb? Sie hat philosophische Wissenschaften studiert und ihre politische Karriere bei der Jungendorganisation der kommunistischen Partei Italiens gestartet. Aber sicher hatte sie ein hochkarätiges Expertenteam im Hintergrund.

Der befreite Handel mit dem Iran wurde von Obama mit dem Transfer eines Teils des jetzt aufgetauten iranischen Vermögens gefeiert; es handelte sich um eine erste Tranche von 1,7 Milliarden Dollar, auf Wunsch des Empfängers in bar. Das sind 17 Millionen Banknoten zu je 100 Dollar. Es ist angeblich die gewünschte Zahlungsform, um bei A. Q. Kahn in Pakistan das notwendige Zubehör für nukleare Projekte zu kaufen, etwa ballistische Raketen oder elektrische Zündsysteme für Sprengköpfe. Gut, wenn man sich das Cash für solch eine Anschaffung dann nicht erst aus dem Geldautomaten holen muss.

Ob sich der deutsche Außenminister Gedanken darüber gemacht hat, dass die Aufhebung der Sanktionen es dem Iran wesentlich erleichtern wird, an Bomben zu kommen? Vielleicht dachte er sich, dass solch eine Waffe eh nie zum Einsatz käme. Das mag sein, aber auch eine Bombe, die im Keller liegt, hat Wirkung. Würden nun die arabischen Nachbarn in Israel mit konventionellen Streitkräften einmarschieren, und Israel würde atomar zurückschlagen, dann könnte das kleine Land selbst Ziel von Atomraketen werden. Das wäre dann das Ende von Israel, es wäre der zweite Holo­caust. Ob Herr Steinmeier sich das überlegt hat, bevor er unterschrieb? Grund dazu hätte er gehabt. Genauer gesagt: sechs Millionen Gründe.

So war die Situation im Juli 2015, als der JCPOA mit viel Schulterklopfen, Fahnen und Weihrauch verabschiedet wurde. Teil des Vertrages war auch die regelmäßige Überprüfung der Einhaltung des Abkommens. Dazu fand dann 2017 eine Inspektion statt, auf deren Basis die IAEA dem Iran „Full Compliance“ bestätigte.

 

Zweifelsfreie militärische Natur

Dieser gute Eindruck wurde Anfang 2018 gestört, als der israelische Geheimdienst im Iran auf Dokumente stieß, welche zweifelsfrei die militärische Natur des nuklearen Programms offenbarten. Darunter war eine PowerPoint-Präsentation, offensichtlich für politische Entscheidungs­träger bestimmt, in der Wissenschaftler über Pläne zum Design, Bau und Test von fünf Atombomben zu je 10 Kilotonnen Sprengkraft berichten, sowie über geeignete Trägerraketen.

Die Dokumente wurden zwar als veraltet abgetan, aber sie stellten dennoch einen Bruch des Vertrages dar, welcher die Aushändigung aller Prä-JCPOA-Dokumente an die IAEA gefordert hatte. Dieser Fund, sowie offensichtliche Bemühungen zum Erwerb von Raketen waren Grund für die USA, das Abkommen zu kündigen. Ab August 2018 wurden wieder strenge Handelssanktionen verhängt – nicht nur gegen den Iran, sondern gegen jegliche Firmen, die jetzt noch Geschäfte mit dem Land betrieben.

Der gefeierte Joint Comprehensive Plan of Action war damit in Rauch aufgelöst, was die Regierungen der verbliebenen „4+1“ jedoch nicht daran hinderte, zu betonen, man würde an dem Abkommen auf jeden Fall festhalten.

Allerdings waren die Bemühungen Frankreichs und Deutschlands zur Umgehung des US-Embargos dem Iran nicht effizient genug. So droht das Land der Welt jetzt, im Herbst 2019, ganz offen mit der Herstellung waffenfähigen Urans; die Zentrifugen dafür hat man sich schon besorgt.

Ein Gleichnis soll verdeutlichen, wie absurd der ganze Deal ist. Stellen Sie sich vor, eine alleinstehende Mutter wird von Verwandten finanziell unterstützt, um eine gute Erziehung und Ausbildung des Kindes zu ermöglichen. Alle Jahre besucht ein Sozialpädagoge die beiden, um die Verhältnisse in deren Haus zu überprüfen. Dabei stellt er fest, dass das Kind zweifelsfrei von der Mutter misshandelt wurde, und berichtet den Verwandten, die daraufhin die Zahlungen einstellen, denn die waren an gute Führung der Mutter gebunden.

Die Mutter jammert und schwört, dass sie nur das Beste für ihr Kind will, und nach zwei Jahren Verhandlung mit den Verwandten hebt man die Sanktionen auf und der reiche Verwandte aus USA schickt gleich einen dicken Batzen Geld. Aber bald darauf wird offensichtlich, dass die Mutter sich doch nicht an die neu getroffenen Vereinbarungen hält.

Der Nachfahre des Onkels aus Amerika stoppt daraufhin seine Zahlungen, aber die europäischen Verwandten, die den Amerikaner ohnehin nicht mögen, trösten die Mutter; man werde schon einen Weg finden, um ihr zu ihren Zahlungen zu verhelfen. Das klappt aber nicht so wie geplant, und die Mutter wird ungeduldig: „Wenn ich nicht bald mein Geld bekomme, dann werde ich meinen Sohn wieder schlagen. Eine neue Peitsche habe ich schon gekauft.“

 


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