published 12.06.2021 

Bild: Micha Brändli / Unsplash

Der Bestseller „Mut zur Freiheit“ der Menschenrechtlerin Park Yeon-mi, in dem sie über ihr Leben in Nordkorea und über ihre Flucht berichtet, hat dem Westen Bilder des Grauens offenbart, von denen man glaubte, sie seien längst finsterste Geschichte. Vielleicht gibt es ja in vielen Herzen die heimliche Hoffnung auf eine Vereinigung des Landes mit dem Süden, welche die Erlösung aus dem Gulag mit sich brächte. Aber dafür gibt es keine Garantie.

Hier eine dystopische Phantasie zu solch einem Ereignis.


Stellen Sie sich vor, die zaghaften Kontakte zwischen den beiden koreanischen Staaten weckten in der Bevölkerung des Nordens Hoffnung auf Freiheit und Wohlstand, so wie der Süden sie hat. Es kommt zu spontanen Demonstrationen, die zu einer Lawine anschwellen, und schließlich drängen unzähmbare Massen zur demilitarisierten Zone vor. Die Soldaten an der Grenze sind überfordert und sehen tatenlos zu, wie Schlagbäume aufgerissen werden und wie Tausende aus der Volksrepublik nach Südkorea strömen. Dort werden Sie von Freunden und Fremden mit offenen Armen empfangen.

 

In der Partei willkommen

Der Präsident des Landes, Minho Moon, heißt die Brüder aus dem Norden willkommen. Er werde dafür sorgen, dass sich vereint, was einst im Krieg getrennt wurde.

Es ist das Ende der DRK, der Demokratischen Republik Korea. Der Diktator Kim Sehun und seine Familie flüchten nach Venezuela, wo sie als Helden des Sozialismus mit Jubel empfangen werden. Der Machtapparat der Kim Dynastie wird zerschlagen, an seine Stelle treten demokratische Strukturen auf allen Ebenen, Optimismus bestimmt den Alltag.

Präsident Moon lässt sich als Vater der lang ersehnten Einheit Koreas feiern. Als Geste der Toleranz heißt er ehemalige Funktionäre des alten Systems aus dem Norden in der eigenen Partei willkommen. Unter ihnen ist eine unauffällige, ehrgeizige Frau aus dem engeren Umfeld Kim Sehuns. Nennen wir sie Hanya.

Dank Ihrer Intelligenz und Loyalität gewinnt Hanya schnell die Sympathien und das Vertrauen ihres neuen Chefs, und sie macht Karriere im Schatten ihres großen Mentors. Niemand missgönnt ihr den Erfolg. Frauen hegen keine Eifersucht und Männer unterstellen ihr nicht das Potenzial, eine ernsthafte Konkurrentin zu sein. Das ist ein Fehler. Wenn die hartgesottenen Polit-Profis einst aus ihrer Naivität aufwachen ist es zu spät.

 

Die Hornisse mit Signalweste

In der Natur erkennt man gefährliche Tiere oft an ihrer mächtigen Gestalt. Ja, der Löwe ist so eine Kreatur, aber auch der Elefant. Solchen Geschöpfen geht man instinktiv aus dem Weg. Auch den Bestien selbst ist damit übrigens gedient, denn sie ersparen sich lästige kleine Scharmützel und widrige Bagatellverletzungen. Aber was, wenn die Gestalt harmlos und schmächtig ist, das Tier dennoch gefährlich, etwa durch sein Gift?

Was hat man davon, wenn man Angreifer problemlos töten könnte, die aber nichts davon wissen? Dann legt sich das Tier ein besonders auffälliges, abschreckendes Äußeres zu. Die Botschaft ist dann „Ich bin zwar klein, brauch mich aber nicht zu verstecken.“ Die Hornisse mit ihrer Signalweste ist solch ein Kandidat, oder auch die Korallenschlange im grellen orange – gelben Overall.

Nicht nur Tiere haben diese Strategie. Unschwer werden Sie erkennen, dass Donald Trump seine Gegner durch seine mächtige Gestalt, durch sein dominantes Auftreten beeindruckt; und der Schlange Hillary geht man aus dem Weg, wie einer Otter im Gebüsch. Hanya aber trägt weder eine Signalweste, noch ist sie von mächtiger Gestalt. Dennoch verbirgt sich in der harmlosen Hülle einer grauen Maus das Gift von tausend Vipern und ein Gebiss, das in Bruchteilen einer Sekunde die Hauptschlagader des Opfers trifft – todsicher.

 

Der Elefant torkelt

Ihr Gönner, Präsident Moon, bekommt Hanyas vernichtenden Biss bald zu spüren. Dank seiner Elefantenstatur fällt er nicht sofort um. Er torkelt, rafft sich auf, bleibt aber schließlich leblos auf dem Rücken liegen. Sogar ehemalige politische Feinde haben Mitgefühl für den gemeuchelten Giganten.

Der weitere Weg ist für Hanya jetzt nur noch ein Schachspiel. Sie denkt mindestens drei Züge weiter als ihre Gegner und räumt Bauern, Türme und Läufer relativ mühelos vom Brett. Wenn es niemand sieht, dann lässt sie auch mal eine gegnerische Figur unter dem Tisch verschwinden. Ihr Motto ist: „Nur wer die Regeln bricht kann das Spiel gewinnen.“

Woher kommt Hanyas Überlegenheit? Zunächst sind da ihre positiven Anlagen: Geduld, Intelligenz und Selbstvertrauen. Genauso wichtig ist aber ein Defekt: es fehlt ihr jegliche Empathie; sie kennt kein Mitgefühl für ihre Opfer, welches auf ihrem Weg zur Macht nur hinderlich sein könnte.

Zu diesen angeborenen Eignungen Hanyas kommt eine erstklassige Ausbildung in Sachen Intrige und Ränke, die ihr in Kims System zuteil wurde. Diktaturen verwenden ja einen Großteil der Arbeitskraft und Kreativität der Bevölkerung auf die gegenseitige Überwachung. Feinde des Regimes müssen von Mitbürgern aufgespürt und auf den richtigen Weg gebracht oder beseitigt werden. Dabei lernt man es, sich in einem Spinnennetz aus Misstrauen, Erpressung, Belohnung und Mord zu bewegen. In diesem Spiel hatte Hanya es zur Meisterschaft gebracht.

 

Atombomben zur Vernichtung

Als sich die Grenze zum Süden öffnet ist sie Funktionärin in Kims Ministerium für Propaganda, und Mitte dreißig. Kommunistische Überzeugung hatte zu diesem Zeitpunkt die DNA jeder ihrer Zellen geprägt, sie war überzeugte Kämpferin gegen den Kapitalismus und hasste den Süden Koreas aus vollem Herzen.

Nur wenige Jahre nach Öffnung der Grenze wird diese Frau nach einem kometenhaften Aufstieg zur Präsidentin des freien, vereinigten Koreas gewählt! Sie steht jetzt am Ruder der Nation, deren Bekämpfung die raison d’être des Systems Kim war. Sie führt jetzt die Nation, der zu schaden bislang ihr Lebensinhalt war und zu deren eventueller Vernichtung man Atomwaffen gebaut hatte. Diese eingefleischte Kommunistin ist jetzt also die mächtigste Person im vereinten Korea. Was würde sie tun?

Würde sie als roter Saulus vom Pferd stürzen, um als erleuchteter Paulus die Politik eines  freien, vereinigten Koreas zu bestimmen? Oder würde sie versuchen auf die sanfte Tour, als Trojanisches Pferd, das zu erreichen, was mit Bomben und Raketen nicht geklappt hat? Diese naheliegende Frage hätte sich das politische Establishment Südkoreas eigentlich irgendwann stellen müssen. Was hat Hanya vor?

In ihren Reden gibt sie uns keine Antwort. Ihre Worte sind sanft und wolkenhaft; sie lassen keine Rückschlüsse auf die wahren Motive zu. Kann man aber die Absichten einer Person nicht klar erkennen, dann ist es klug, auf das Ergebnis ihres Handelns zu schauen. Vielleicht sind ja ihre Resultate genau das, was sie erreichen wollte.

 

Zwischenbilanz

Seit ihrer Amtsübernahme sind nun genügend Wellen an die Küste der Halbinsel geschlagen um eine Zwischenbilanz aus Hanyas Politik zu ziehen. Was hat sie erreicht?

Unter ihrer Regierung sind Steuern und Abgaben dramatisch angestiegen. Mit den zusätzlichen Mitteln finanziert sie Organisationen, welche direkt oder indirekt ihre Macht zementieren.

Ein anderer Meilenstein in ihrer Politik ist die landesweite Stilllegung von Atom- und Kohlekraftwerken. Das Industrieland Korea wird jetzt von Stromeinfuhr aus den Nachbarländern – und wirtschaftlichen Konkurrenten – China, Russland und Japan abhängig. Da mögen Bambung, Kundai und PIA vielleicht befürchten, dass jemand im Ausland mal den Stecker zieht, aber niemand traut sich mehr gegen die mächtige Hanya aufzubegehren.

Die verteuerte Elektrizität macht das Leben für die Großindustrie schon schwer genug, aber durch immer neue wirtschaftliche Behinderungen seitens Hanyas Regierung kommen die industriellen Riesen schließlich ins Straucheln. Sie werden vom Staat aufgefangen und ab jetzt durch Funktionäre der Regierung verwaltet. Es ist das Ende der internationalen Konkurrenzfähigkeit, von der Wohlstand und Ansehen des Landes abhingen. Mit erschreckender Geschwindigkeit bricht der Lebensstandard zusammen, ohne nennenswerten Widerstand der ehemaligen Eliten Südkoreas.

 

Der Geist von Pjöngjang

Die Hauptstadt des vereinten Koreas wird nun von Seoul nach Pjöngjang verlegt und der Geist – oder besser gesagt, der Ungeist – dieser Stadt, die Jahrzehnte lang Zentrum der menschenverachtenden Kim-Diktaturen war, wird in Hanyas Politik wieder lebendig.

Die Bevölkerung wird jetzt in zwei Klassen geteilt: die eine, welche direkt, indirekt oder über NGOs und Stiftungen vom Staat alimentiert werden und die der Regierung bedingungslose Gefolgschaft leisten; und die andere Klasse, die arbeiten muss, um den Zirkus in der Hauptstadt zu alimentieren. Dabei wird letzterer Klasse so viel von ihrem Lohn durch Steuern und Abgaben genommen, dass der Lebensstandard fast wieder auf das alte Nordkoreanische Niveau absinkt.

Der einzige Widerstand gegen Hanyas Politik kommt ausgerechnet von ehemaligen Bürger des sozialistischen Nordens. Sie wagen noch am ehesten ihren Protest zu zeigen. Vielleicht erinnern die sich an das politische Klima, dessen Rückkunft ihnen sicherlich keine Freude bereitet.

Vielleicht erinnern sie sich auch noch an ein historisches Detail: Damals, bei ihrem Abflug aus Pyongyang in Richtung Caracas hatte Nordkoreas ehemalige First Lady, Kim Solmin, eine ominöse Prophezeiung hinterlassen: „Ihr werdet euch alle noch wundern!“ hatte sie gesagt.

 


 

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2 Comments
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Wilfried Linden
2 years ago

Wie komme ich ur darauf, daß mich die Geschichte an Frau Merkel erinnert?

Kirchen-Kater
2 years ago

Klare Antwort: Sie sind noch nicht geimpft.