published 14.11. 2020
Bild: The Guardian
Heute vor fünf Jahren wurden im Theater Bataclan in Paris 130 Menschen erschossen. Die Islamisten schlugen zu, obwohl nur kurz zuvor wichtige Staatsoberhäupter in den Straßen von Paris persönlich gegen Terrorismus protestiert hatten. Die Mörder hat das offenbar nicht beeindruckt. Denn Politiker, die demonstrieren, signalisieren nicht Stärke und Entschlossenheit, sondern Furcht und Selbstgefälligkeit.
Schreibtisch aufräumen
Komplizierte Themen werden durchschaubar, wenn man intelligente Unterscheidungen trifft. Die Interaktion zwischen Menschen etwa ist eine komplexe Angelegenheit, die klarer wird, wenn wir uns die Formen der Wechselwirkung genauer anschauen. Dazu möchte ich Handlungen in drei Klassen differenzieren.
- Da gibt es zunächst Aktivitäten, die nur einen selbst betreffen, die auf andere keine Wirkung haben und von denen andere vielleicht niemals erfahren; etwa wenn man morgens 20 Kniebeugen macht, wenn man den Schreibtisch aufräumt oder wenn ein Kind für sich alleine ein kleines Plastikauto über den Teppich schiebt und dabei tatütata singt.
Solche Handlungen möchte ich als „hermetisch“ bezeichnen, als in sich geschlossen. Hermetische Handlungen können gut oder schlecht sein, notwendig oder sinnlos, oder nichts von alledem. Ihr Merkmal ist, dass sie nur eine einzige Person betreffen.
- Viele unserer Handlungen aber haben ein bestimmtes Ziel und in den meisten Fällen sind andere Personen betroffen. Wir leisten etwas und andere bezahlen uns dafür. Personen mögen bei diesen Handlungen unterschiedlich effizient sein, aber wir nennen es allemal „Arbeit“. Ihr Kennzeichen ist, dass ein objektiv nützliches Resultat hergestellt, oder zumindest angestrebt wird. Arbeit findet natürlich auch im privaten Umfeld statt, aber ich vermute, Sie wissen wovon die Rede ist und erspare Ihnen weitere Erläuterungen.
FFF und Eheringe
- Was uns hier beschäftigen soll sind symbolische Handlungen. Ein Symbol steht stellvertretend für das eigentliche Resultat, das angestrebt wird.
Ein Ring etwa symbolisiert eheliche Treue. Er ist aber weder hinreichende noch notwendige Voraussetzung für eine gute Ehe, und auch kein Ersatz dafür. Wie die meisten Symbole hat auch der Ring eine Botschaft für den Rest der Welt; etwa an den Kerl am Nachbartisch im Restaurant: „Mach dir keine Illusionen Kleiner, ich hab da jemanden zu Hause, mit dem würden wir beide Ärger kriegen.“
Eine symbolische Handlung kann zwar einem konkreten Ziel gewidmet sein, sie ist aber für dessen Erreichen weder notwendig noch ausreichend. Die Aktivitäten der FFF Bewegung etwa sollen (angeblich) Achtsamkeit für die Gesundheit unseres Planeten erwecken. Ihre Kundgebungen sind ein Appell an „die anderen“ ihr Verhalten zu ändern, sie haben aber keinen direkten Einfluss auf Klima und Umwelt. Der einzige unmittelbare Effekt ist, dass die Kinder den Unterricht versäumen.
Zu viel der Symbolik
Gegen symbolisches Handeln ist an sich nichts einzuwenden, so lange es nicht mit dem eigentlichen, dem notwendigen Handeln, d.h. mit Arbeit verwechselt wird. Es ist allerdings zu beobachten, dass genau das zunehmend passiert.
Wir haben Verständnis und Mitgefühl, wenn am Ort eines Gewaltverbrechens Blumen abgelegt und Kerzen aufgestellt werden, und dass am nächsten Tag entsprechende Bilder in den Medien erscheinen. Das ist inzwischen tragische Routine und niemand würde gegen solch einen Akt des Mitgefühls protestieren. Es wäre nur naiv zu glauben, dass Blumen und Kerzen in irgend einer Form die Wiederholung solcher Verbrechen vereiteln könnten.
Wir beobachten auch, wie unsere Politiker zunehmend „Zeichen setzen“ statt zu handeln. Ja, eine echte Handlung erfordert Commitment, sie erfordert dass man die Realität konfrontiert, analysiert und Verantwortung übernimmt. Ein Zeichen zu setzen ist ein unverbindlicher Akt, von dem man sich jederzeit distanzieren kann, der aber einer unkritischen Bevölkerung signalisiert, „man hätte etwas getan“.
Hier nun ein besonders makabres Beispiel für einen symbolischen Akt, der von der Tatenlosigkeit der Politik ablenken sollte.
So gehen Zivilisationen zu Grunde
Am 7. Januar 2015 erschossen in den Räumen der Satirezeitschrift Charlie Hebdo Terroristen der al-Qaeda 12 Personen. Die spontane Reaktion der Bevölkerung war Trauer um die Toten und Aufbegehren gegen den Terrorismus. Die Dynamik dieser Emotionen wurde von der Politik schnell umgelenkt in eine Manifestation der Eintracht. Auf keinen Fall durfte Feindseligkeit gegen den Islam die Stimmung beherrschen.
Dafür war den Regierungschefs keine Mühe zu groß und keine Aktion zu peinlich. Man organisierte einen Fototermin auf einer Straße in Paris, wo die Eliten sich zu einer Demonstration der Solidarität formierten. Natürlich passierte all das fern von Aufmärschen des Volkes und unter dem Schutz von Tausendschaften der Polizei. War das alles also nur eine Farce für die Kameras? Ja, natürlich, aber es stellt sich noch eine viel wichtigere Frage:
Was zum Teufel haben Staatsoberhäupter als Demonstranten auf einer Straße zu suchen? Sie sollten ihre Hausaufgaben machen. Demonstrieren ist etwas für Untergebene, die den Mächtigen signalisieren, dass sie unzufrieden sind. Wenn Arbeiter für höhere Löhne demonstrieren, dann sagen sie ihren Direktoren: „Schaut her, wir sind viele und wir sind unzufrieden und wir könnten noch deutlicher werden, als nur Transparente zu schwenken!“ Das macht Sinn. Es wäre aber keine gute Idee, wenn die Direktoren ihrerseits auf die Straße gingen um gegen die Verluste im vergangenen Quartal zu demonstrieren.
Eine Demo soll eine berechtigte Forderung kommunizieren, welche die Demonstranten selbst nicht erfüllen können. Was also fordern die versammelten Staatschefs auf den Straßen von Paris – und von wem? Sie sind doch die Mächtigsten der Welt. Wenn die Dinge im Argen liegen, dann haben sie selbst versagt. Wenn die berechtigten Forderungen der Völker nach Sicherheit nicht erfüllt werden, dann hat die Politik versagt. Also, geht nach Hause und macht Eure Arbeit, statt eure Selbstgefälligkeit zur Schau zu stellen! Gegen Mörder helfen keine Demos, sondern nur die harte Kante.
Am Freitag, den 13. November, zehn Monate nach dem Protestmarsch mit Merkel, Hollande und Co wurden dann in derselben Stadt im Theater Bataclan 130 Menschen von muslimischen Terroristen erschossen. Die hatten sich ganz offensichtlich von der Demo der Staatschefs nicht beeindrucken lassen. Und auch diesmal gab es wieder große Worte aber keine Taten.
Aus diesem Anlass veröffentlichte der britische Historiker Niall Ferguson damals einen Arikel im Boston Globe. Die Einleitung dazu habe ich hier für Sie auf Deutsch wiedergegeben.
Ich wiederhole jetzt nicht, was Sie bereits gelesen oder gehört haben. Ich sage nicht, dass das, was am Freitagabend in Paris geschah, ein nie dagewesenes Grauen war, denn das war es nicht. Ich sage nicht, dass die Welt zu Frankreich steht, denn es ist eine hohle Phrase. Und ich applaudiere auch nicht Präsident Hollande zu seinem Versprechen der „erbarmungslosen“ Rache; denn ich glaube nicht daran.
Stattdessen sage ich Ihnen, dass genau so Zivilisationen zu Grunde gehen.
(ByNovember 16, 2015, 7:12 a.m.)
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