published 01.05.2021
Bild: Lebensmittellexikon.de
Im Weltraum kreist seit Jahren die ISS, auf der man Erfahrungen macht, die nur da oben möglich sind. Sie demonstriert, wozu menschliche Intelligenz und Engagement in der Lage sind, wenn man ihnen keine Fesseln anlegt. Gleichzeitig entsteht auf Erden die Schwerkraft eines neuen Zeitgeists, der jegliche Kreativität lähmt, und von dem letztendlich auch die Raumstation nicht verschont bleiben wird.
Kabelwirrwarr und Plastiktüten
Ich möchte Ihnen von einem Mehrfamilienhaus berichten, das in großer Höhe mit hoher Geschwindigkeit um die Erde fliegt. Es ist keine Phantasie von Jules Verne, sie können es mit eigenen Augen sehen: nachts, bei klarem Himmel.
Die Internationale Raumstation (ISS) hat ca. tausend Kubikmeter Wohnraum, in denen bis zu elf Bewohner unterkommen. Tausend Kubikmeter, also ein Gebäude mit hundert Quadratmetern Grundfläche und drei Stockwerken für ein knappes Dutzend Bewohner, das ist eine realistische Sache, auch auf Erden. In den Räumlichkeiten da oben sieht es dann auch so ähnlich aus, wie bei uns zu Hause: Bildschirme, Kabel-Wirrwarr und überall Plastiktüten mit allem möglichen.
Es gibt aber auch Unterschiede, die sich aus der besonderen Lage unseres Objekts ergeben. In 400 km Höhe haben wir zwar herrlichen Ausblick – ca. 2000 km weit – aber die Luft ist verdammt dünn. Die nimmt ja mit der Höhe ab und so hoch oben ist praktisch Vakuum. Das will man den Bewohnern nicht zumuten. Man füllt die Räumlichkeiten also mit dem gleichen Stoff, den wir uns hier unten in die Lunge ziehen, nämlich einem Gemisch aus Stick- und Sauerstoff von einem Bar.
Bei dem Druck, und ohne externen Gegendruck, würde unsere Behausung jedoch wie ein Luftballon platzen; die Wände würden ausgebeult und vermutlich brechen. Dem kommt man zuvor, indem man das Objekt von vorne herein aus Röhren und Kugeln aufbaut. So hat unsere Immobilie dann auch nicht die übliche Würfelform, sondern sie gleicht eher der Skulptur, die ein kreativer Fünfjähriger aus leeren Blechdosen geschaffen hat.
Der freie Fall
Es gibt da oben also keine Luft; gibt es auch keine Schwerkraft? Nun, auch die ISS fühlt die Anziehungskraft des Heimatplaneten. Die ist da oben zwar ein Zehntel schwächer als bei uns, aber hallo, das genügt immer noch, dass sie wie der Teufel nach unten rauschen würde, wäre da nicht eine horizontale Geschwindigkeit von 27.600 km/h, mit der sie vorwärts fliegt. Dadurch wird vermieden, dass sie auf die Erde aufprallt; sie fällt sozusagen immer an der Erde vorbei.
Wäre sie langsamer, dann ginge es Richtung Erde. Genau das machen Raumfahrzeuge, die im Orbit kreisen und nach Hause wollen, etwa Sojus oder Shuttle. Die bremsen und dann geht’s von selbst nach unten.
Die 27.600 km/h sind übrigens nicht willkürlich gewählt. Jede Höhe über der Erde hat ihre ganz spezifische Geschwindigkeit für einen Orbit. Der gute alte Mond, eine natürliche „Space Station“, ist rund tausend mal so weit weg und trödelt mit 3700 km/h vor sich hin. Deswegen braucht er auch einen ganzen Monat für seine Runde. Die ISS macht das in 90 Minuten, aber die ist eben nur 400 km hoch. Zum Vergleich: Wäre die Erde ein Fußball, dann würde die ISS in sieben Millimeter Höhe kreisen und wäre so klein wie einen Bakterie. Der Mond, so groß wie ein Tennisball, wäre dann sieben Meter vom Fußball weg.
Den freien Fall um die Erde herum macht nicht nur die ISS, sondern auch alles und jeder an Bord mit; das ist „Schwerelosigkeit“. Hier unten erleben wir die Schwerkraft ja ganz deutlich, etwa in den Füssen, wo die unterstützende Kraft der Erdoberfläche uns vor dem freien Fall bewahrt. Diese Kraft fehlt auf der ISS. Das hat den Vorteil, dass ein einzelner Astronaut ein tonnenschweres Teil hantieren kann, wozu auf Erden ein Kran nötig wäre. Es hat aber den Nachteil, dass Teller und Weinglas nicht auf dem Tisch bleiben, wo man sie hingestellt hat, und auch das Duschen funktioniert ohne Schwerkraft nicht so gut.
Stoßlüften im Weltall
Aber man muss noch an andere Dinge denken, die da oben fehlen. Beim Atmen entnehmen wir ja der Luft Sauerstoff und reichern sie mit CO2 an. Das geht nicht ewig, auch wenn man tausend Kubikmeter zur Verfügung hat. Nun wurde in Deutschland von Experten im Auftrag der Regierung ein innovatives Verfahren entwickelt: Stoßlüften. Man öffnet die Fenster, lässt frische Luft ein, und schließt wieder, wenn der Mief raus ist. Wäre das eine Lösung für die ISS?
Ich hätte da Bedenken. Beim Öffnen der Fenster käme da zwar „das frische Vakuum“ vom Weltall rein und die verbrauchte Luft würde sich in einer Millisekunde bis Alpha Centauri verteilen, aber was soll man dann atmen.
Man versucht es mit einem anderen Verfahren: durch die Elektrolyse von Wasser werden Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) erzeugt. Das O2 schnappt man sich gleich für die frische Raumluft, aber das H2 lässt man mit dem CO2 aus der verbrauchten Luft reagieren; dabei entstehen Methan (CH4) und Wasser, das man auch gut brauchen kann. Das Methan aber lässt man ins Weltall entweichen. Es ist das gleiche Zeug, das die Kühe beim Fressen von sich geben und was angeblich für immer wärmeres Klima sorgt. Hoffentlich bringt die ISS damit nicht das ganze Sonnensystem zum Kippen.
The Closed Loop
Ähnlich wie man ums letzte O2 Molekül an Bord kämpft, so macht man es auch mit dem anderen Lebenselixier, mit Wasser. Kein Tropfen Flüssigkeit wird entsorgt – keiner! Da wird gnadenlos gefiltert, chemisch gereinigt und destilliert.
Beim Destillieren wird der leichte Wasserdampf vom schweren, verunreinigten Wasser getrennt. Das ist nun ein Problem, denn da oben gibt’s kein leicht und schwer, weil keine Schwerkraft. Man rüstete also ein Destillationsmaschine mit künstlicher Schwerkraft aus, so wie sie in einer Zentrifuge erzeugt wird. Das funktioniert.
Und so bewegt man sich Schritt für Schritt in Richtung einer „Closed Loop“; man baut ein voll autarkes System, welches ohne Abhängigkeit von externen Zulieferern alle lebensnotwenigen Bedingungen schafft. Man baut quasi an einer kleinen Erde. Gut, die notwendige Energie holt man sich von Extern per Sonnenschein, aber das macht die große Erde ja auch.
Die Themen Luft, Wasser und Abwasser sind also prinzipiell geregelt, Strom kommt aus der Steckdose, dank 100 kW Photovoltaik, die bei zuverlässigem Sonnenschein und nur 45 Minuten Nacht gut funktioniert. WiFi gibt’s auch, fehlt nur noch was zum Essen. Wenn das gelöst ist, dann Bon Voyage in die Unendlichkeit.
Es wäre – soweit wir heute wissen – das erste Mal in der Geschichte des Universums, dass sich Lebewesen von Mutter Erde abnabeln. Was für ein epochales Abenteuer! Da warten dann wohl ein paar Überraschungen, wie sie Stanley Kubrick in seinem Film 2001 – Odyssee im Weltraum prophezeit hat.
Staying Alive
Noch aber ist die ISS auf Versorgung von der Erde angewiesen. Die Vehikel dafür waren und sind Space Shuttle, Sojus und der putzige Drachen von SpaceX. Die ersten beiden haben seit 1998 den Löwenanteil der 200 bemannten und unbemannten Trips gemacht. SpaceX absolvierte gerade, am 24 April, seinen dritten Flug zur ISS. An Bord sind Wasser und frische Luft, denn noch kann die „Closed Loop“ die Versorgung nicht zu 100% garantieren. Der Drache bringt auch Essen und neue Besatzungen. Auf dem Rückflug nimmt es dann ausgediente Astronauten mit und ein paar Müllsäcke.
Wie lange dauert wohl so eine Reise zur Station im Weltraum? Von Florida zur ISS? Flugzeit ist ca. 12 Minuten, dann ist man im Orbit. Das Andocken ist dann eine langwierige Sache; man macht das ganz vorsichtig, denn man will da oben auf keinen Fall einen Blechschaden riskieren. Und dann muss man auch einen freien Parkplatz finden, im Weltraum heißt so etwas „Docking Port“; den Ausdruck kennen vielleicht von Ihrem Laptop. Die ISS hat vier davon.
Der Himmel auf Erden
Der Betrieb der ISS erfordert viel Organisation, ihr Bau aber war eine grandiose Meisterleistung in Sachen Management und Technologie. Die Monteure selbst mussten ja im All überleben, ohne ein Dach über dem Kopf, denn da oben kann man nicht gerade einen Container mit DIXI-Häuschen daneben hinstellen. Vielleicht haben die Kerle ja im Shuttle gepennt.
Wie auch immer, was da abgezogen wurde, das waren Heldentaten in Sachen Projektmanagement. Die Champions hinter diesen Erfolgen, wo kamen sie her? Waren es Soziologen mit abgebrochenem Hochschulstudium? Waren es fragwürdige Doktoren in irgendwas mit Medien? Ich glaube nicht. Es waren Profis, die erkannt hatten, dass man nur eine Chance hat, wenn man der Realität mit offenen Augen und unbestechlicher Logik begegnet. Ihr Motto: „Failure is not an option“.
War das auch das Motto beim Management der deutschen Impfkampagne? Warum gibt es solche Profis bei der Eroberung des Weltalls, aber nicht für die Lösung politischer Aufgaben? Wir hätten den Himmel auf Erden.
Die Krakenarme des Zeitgeists
Der postmoderne Zeitgeist greift jetzt auch ins All und man diskutiert die Verschrottung der ISS. Man würde sie absinken und in der Atmosphäre verglühen lassen. Da gibt es natürlich Bedenken, dass schwere Komponenten der ISS auf bewohntes Gebiet fallen könnten und Schaden anrichten. Zwar wird die Erde jährlich von Meteoriten im Gesamtgewicht von 15.000 Tonnen getroffen, aber die kommen meist in kleineren Portionen.
So ist zu erwarten, dass mit der ISS ein weiteres Glanzstück verschwindet, welches der Pioniergeists des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Sie wird einem Geist geopfert, der stets verneint, der keinen Respekt vor vergangenen Leistungen hat – denn alles, was besteht, ist wert, dass es zu Grunde geht.
Im Gegenzug beginnt China mit dem Bau einer eigenen Raumstation. Das Land hatte ja in Sachen Raumfahrt bislang nur mit dem „Jade-Hasen“ von sich Reden gemacht, dem kleinen Jeep, der den Mond erkundet. Jetzt aber geht es um eine Nummer größer: „Heavenly Palace“ soll das Ding heißen. Das erste Modul des Himmelspalastes wurde gerade am 28. April ins All geschickt.
Nun findet also auch da oben die Wachablösung statt, die auf Erden schon seit längerem im Gange ist.