published 11.05.2024
Bild: Axios

Boeing läutete vor zwei Generationen mit der 707 das Jet-Zeitalter ein, und die weite Welt wurde zum „Global Village“. Der Name der Firma stand für technischen Fortschritt und Sicherheit, bis vor einigen Jahren durch eine Reihe von Zwischenfällen das Image geschädigt wurde. Durch den Tod von zwei „Whistleblowern“, die vor Gericht gegen ihren früheren Arbeitgeber aussagen sollten, kam nun noch ein krimineller Verdacht ins Spiel. Wie kam es zum dramatischen Verfall dieses grandiosen Unternehmens?


Keine Lorbeeren

Boeing hatte nach und nach seine US-Konkurrenten aufgekauft, und schließlich blieb nur noch Airbus als Widersacher. Die beiden liefern sich seither ein gnadenloses Rennen, welches primär durch den Fortschritt hinsichtlich Wirtschaftlichkeit entschieden wird. Dabei finden die Optimierungen eigentlich weniger beim Flugzeugbau statt, als bei Triebwerken und der Automatisierung. Eventuelle Lorbeeren gehen also an Firmen wie Pratt & Whitney bzw. General Electric für die Motoren, und an Honeywell für die Avionik.

Boeing selbst hatte nur wenige Lorbeeren verdient, insbesondere hatte man nicht einmal seine wichtigsten Hausaufgaben gemacht. 2015 kam  Airbus mit der „320 neo“ auf den Markt, die mit ihren neuen Turbofan Triebwerken konkurrenzlos sparsamer war als die Boeing 737. Man brauchte nun dringend auch so etwas, aber die neuen Turbofans waren zu groß und passten nicht unter die bodennahen Tragflächen der 737. Boeings Top Management, das diese Innovation verschlafen hatte, gab das Problem an die Ingenieure weiter: „Lasst Euch etwas einfallen“.

 

Design von 1967

Und so wurden die neuen Turbofans irgendwie an die 737 gewürgt, deren Design damals bereits 50 Jahre alt war. Mit den neuen Triebwerken wurde das Flugzeug allerdings problematisch: beim Start drückt der Schub die Nase der neuen 737max gewaltig nach oben, und wenn ein Pilot, der die alte 737 gewohnt ist, nicht schnell reagiert, dann kann die Strömung abreißen und der Flieger stürzt ab.

Um das zu kompensieren installierte man eine Software im zentralen Computer, welche dafür sorgt, dass die Nase des Fliegers energisch nach unten gedrückt wird, sobald der Anstellwinkel zu groß wird. Schwächen in der Aerodynamik wurden also durch einen Computer-Trick korrigiert. Das war keine gute Lösung: Sollte die Automatik im falschen Moment eingreifen, würde sie das Flugzeug in den Boden steuern. Genau das passierte zwei Mal, und es kostete 350 Menschenleben. Am 29.10.2018 traf es einen Flug von Lion Air und am 10.3.2019 die Ethiopian Airlines.

Bei der Zulassung der 737max durch die FAA „Aircraft Evaluation Group (AEG)“ hatte Boeing besagte Steuer-Automatik verheimlicht, mit der Folge, dass diese schließlich in den Flugzeughandbüchern und den Schulungsmaterialien für die Piloten nicht richtig beschrieben wurde. Die Anklage wegen dieses Betrugs kostete Boeing schließlich insgesamt 2,5 Milliarden Dollar an Kompensation für die Angehörigen und Bußgeld. Und im Wettrennen mit Airbus, bei dem man bis 2018 Kopf an Kopf lag, fiel man jetzt deutlich zurück.

 

Was hat man daraus gelernt?

CEO Dennis Muilenburg war zwar gefeuert worden, aber die Ethik hat sich deswegen nicht gebessert. Ursprünglich war die Maxime gewesen: „Wir bauen die besten und sichersten Flugzeuge der Welt, dann werden wir Erfolg haben“.  Dieses Motto aber hatte  sich gewandelt zu: „Wie kann man aus diesem erfolgreichen Unternehmen den maximalen Shareholder Value pressen.“ In kleinen Schritten wurde der Einfluss der Ingenieure durch die Finanzvorstände zurückgedrängt, die dann neue Prioritäten setzten. Da traten dann manchmal Qualität und Sicherheit in den Hintergrund, weil Kosten und Termintreue wichtiger waren.

Es kam immer wieder zu kleinen und größeren Problemen. Mitarbeiter aus der Fertigung schlugen Alarm, wenn unter Zeitdruck Teile in die Flugzeuge eingebaut wurden, die den Spezifikationen nicht entsprachen. Zeitintensive Qualitätskontrollen wurden abgekürzt in der Zuversicht es wird schon nichts passieren. Und das ist nun ein Motto, das in der Fliegerei den nächsten Unfall garantiert.

Und der kam am 5. Januar 2024, als sich bei einer B737max nach dem Start ein „Door Plug“ selbstständig machte und der Fahrtwind von einigen hundert Stundenkilometern das Innere der Kabine verwüstete. Airlines wollen den Abstand zwischen den Sitzreihen ja selbst bestimmen, um so mehr oder weniger Passagiere unterbringen zu können. Dementsprechend muss eine bestimmte Zahl an Notausgänge an bestimmten Positionen verfügbar sein. Der Flugzeugrumpf ist so gebaut, dass für alle möglichen Konfigurationen ein passendes Loch in der Wand vorhanden ist. Für eine konkrete Konfiguration werden dann die unnötigen Löcher mit „Pfropfen“ geschlossen. Die sind ähnlich groß wie die Tür des echten Notausgangs, haben aber natürlich keinen Bedienungshebel und öffnen sich nach außen. Damit sie dem Überdruck in der Kabine widerstehen können, sind sie mit einer Reihe von kräftigen Bolzen am Rumpf befestigt. In der Unglücksmaschine hatte man einige dieser Bolzen vergessen.

 

Der Tod zweier Whistleblower

Dieser Unfall war spektakulär, hat aber gottseidank keine Menschenleben gekostet. Es sollte nicht dabei bleiben. Im März 2024 wurde der ehemalige Boeing Mitarbeiter und  Whistleblower John Mitchell Barnett tot in seinem Auto aufgefunden. Er hatte eine Schusswunde  am Kopf, möglicherweise war es Selbstmord. In der Vergangenheit hatte er der Amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA kritische Berichte über Sicherheits- und Qualitätsaspekte bei der Produktion des Boeing 787 Dreamliners zukommen lassen. Zum Zeitpunkt seines Todes führte er einen Prozess gegen Boeing.

Ein zweiter Whistleblower, Joshua Dean, ehemaliger Mitarbeiter des wichtigen Boeing-Zulieferers Spirit AeroSystems, ist nach einer mysteriösen Krankheit Ende April 2024 im Alter von 45 Jahren plötzlich verstorben. Er war in der Qualitätskontrolle der 737max tätig und hatte öffentlich über Fehler bei der Fertigung berichtet, nachdem man ihm im Hause Boeing keine Aufmerksamkeit schenkte.

Können all diese Desaster die Konsequenz des gnadenlosen Strebens nach Shareholder Value sein? Hat die Dominanz der finanziellen Aspekte alle technischen Bedenken an die Wand gedrückt? Die Fluggesellschaft Emirates, mit immerhin 133 Exemplaren der B777 in ihrer Flotte, hat zur Bedingung gemacht, dass der nächste CEO bei Boeing ein Ingenieur sein muss, damit man weiter im Geschäft bleibt. Da kann man nur zustimmen, denn ein Ingenieur kann sich leichter in die Logik des Finanzwesen einfinden als ein Chief Financial Officer in die Geheimnisse des Flugzeugbaus.

 


UND HIER EIN FREUNDLICHER GESCHENK-TIPP

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2 Comments
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b.schaller
1 month ago

Ein weiteres Trauerspiel im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich hoffe, dass die USA auch im “Kriegstreiben” immer wieder die alten, gierigen Muster wählen, damit sie sich selbst blosstellen, bevor die ganze Welt kollabiert. Es sind nur noch wahnsinnige an den Schalthebeln. Keinem wird es möglich sein, sich über das Universum… Read more »

Gustl Grillenberger
1 month ago

Spätestens seit der De Havilland …Comet 1 weiß man körperlich, dass man organische Konstrukte nicht ohne Weiteres “tunen” kann.Boeing verdanke seine “Cash Cow” dem bärbeißigen Ing. Joe Sutter, der die 747 in nur 4 Jahren Entwicklugnszeit (!!!) aus dem Nichts “schuf” (im damaligen Schatten eines später gecancelten Überschalljets). Prod.-Zeit 1968-2023!… Read more »