published 21.08.2021
wikipedia.org/wiki/Amelia_Earhart
„There Are Old Pilots and Bold Pilots, but No Old Bold Pilots“. Mit anderen Worten: Kühne Piloten werden nicht alt. Diese Fliegerweisheit gilt auch für Pilotinnen: Amelia Earhart wurde nur 39. Sie war damals die berühmteste Frau der Welt, vergleichbar mit Lady Di, welche sechzig Jahre später ähnlich jung ums Leben kam.
Amelia war mit ihrem Flugzeug im Südpazifik verschollen, etwa da wo Äquator und Datumsgrenze sich treffen, und wie bei Diana rankten sich auch um ihren Tod zahlreiche Mythen, im Versuch die fast banale Ursache der Tragödie zu verklären.
Es war die vorletzte Strecke auf der Umrundung der Erde. Vor ihr lagen noch die Etappen nach Hawaii und von dort würde es nach Hause gehen, nach Kalifornien. Sie wollte den Globus dort umrunden, wo die Route am längsten war, also nahe dem Äquator. Man war bereits seit einem Monat unterwegs, mit Stopps in Puerto Rico, Venezuela, Surinam, Brasilien, Senegal, Mali, Chad, Eritrea, Pakistan, Indien, Burma, Indonesien, Australien und Neu Guinea.
Von dort aus steuerte sie nun Howland an, eine winzige, unbewohnte Insel, mutterseelenallein im unendlichen Pazifik gelegen. Das waren rund 15 Stunden Flugzeit, bei Gegenwind etwas mehr, und man hatte Sprit für 20 Stunden an Bord. Das sollte genügen. Wie aber die Insel finden?
Sextanten und Tabellen
Es gab damals, wir sprechen vom Jahr 1937, durchaus zuverlässiges Kartenmaterial, mit dem man Kurs und Entfernung bestimmen konnte, die zu fliegen waren: 80° und 4200 km. Verlegen wir, zur Veranschaulichung, diese Situation in unsere Breiten: Sie steigen in München in Ihr Flugzeug mit Ziel Usbekistan. Dazu fliegen Sie Kurs 80° bei 280 km/h. Nach 15 Stunden schauen Sie aus dem Fenster und erwarten unter sich den Flugplatz von Taschkent. Aber das ist sehr optimistisch.
Schon bei 1° Abweichung lägen Sie 70 km daneben. Keine Chance also. Seitenwind und Ungenauigkeit des Kompasses machen diese Form der Navigation unmöglich. Da gibt es nun Abhilfe: man kann seine Position auf dem Planeten dank der Gestirne, mit Hilfe von Sextanten und Tabellen bestimmen. Die Ausrüstung hatte Amelia an Bord, aber diese Methode berechnet nicht den Punkt, an dem man sich befindet, sondern eine Linie auf der Karte, eine „Standlinie“, aber auch die ist bestenfalls auf ein paar Kilometer genau.
Das Global Positioning System, unser „Navi“, lag noch ein halbes Jahrhundert in der Zukunft, doch es gab schon einfache Radionavigation. Die besteht aus einem Instrument, welches die Richtung zu einem Radiosender anzeigt. Man brauchte den also nur anzupeilen, dann könnte man die letzte Annäherung ans Ziel auf diese Weise sichern. Solch eine Radiostation gab es auf Howard Island nicht, aber die US Coast Guard war so freundlich, ein Schiff mit Sender neben dem Atoll zu ankern.
Das falsche Radio
Amelias Flugzeug hatte einen Empfänger an Bord, der sie die letzten Kilometer zum Ziel geleiten sollte. Man würde dann auf der provisorischen Piste von Howard Island landen, könnte sich die Hände waschen und die Tanks füllen.
An dieser Stelle müssen wir eine Katze aus dem Sack lassen, nämlich dass Amelia Earhart nicht solo unterwegs war. Mit ihr war Fred Noonan im Cockpit, ein Experte in Navigation, der für Reedereien und Airlines weltweit Routen berechnete, und der zufälliger Weise auch Pilot war. In der Berichterstattung wurde er aber stets nur als „Navigator“ geführt.
Fred soll nun vor Beginn der Reise festgestellt haben, dass besagter Empfänger möglicherweise nicht auf die Frequenz des Coast Guard Senders einzustellen war und regte an, das zu korrigieren. Amelia aber war ungeduldig und setzte sich als „Pilot in Command“ durch. Freds Bedenken waren jedoch nur allzu berechtigt gewesen. Im entscheidenden Moment gelang es nicht, das Signal vom Schiff zu empfangen, um mit seiner Hilfe die Insel zu orten. Die beiden haben dann vermutlich die unendliche See weiter vergeblich mit den Augen abgesucht, bis die Tanks leer waren.
Das Flugvirus
Amelia war Anfang 20 als sie das erste Mal im Flugzeug mitgenommen wurde. Bei der Gelegenheit wurde sie sofort und unheilbar vom „Flugvirus“ befallen. Drei Jahre später hatte sie ihre Lizenz – als sechzehnte Amerikanerin. Bereits vorher hatte sie einen Höhenrekord für Pilotinnen aufgestellt: 4.300 Meter. Da oben ist dann vermutlich eher dem Motor die Luft weggeblieben als der ehrgeizigen Amelia.
1932 dann ihr Husarenstück: solo über den Atlantik. Sie startete in Neufundland und landete in Nordirland. Das waren zwar „nur“ gute 3000 km verglichen mit den 6000 km von New York nach Paris, die der 25-jährige Charles Lindbergh fünf Jahre zuvor geflogen war, aber sie war die erste Frau.
War sie eine gute Pilotin? Auf ihrem Flug geriet sie nachts in Wolken, verlor die Kontrolle über ihre Maschine und trudelte nach unten, bis sie wieder Sicht hatte und sich an den weißen Wellenkämmen des Atlantik orientieren konnte, um die Maschine abzufangen. So ihre Erzählung. Das war knapp und es beweist, dass sie sehr gute Nerven hatte und ihren schweren Flieger perfekt beherrschte. Sie hatte aber nicht gelernt, „nach Instrumenten“ zu fliegen, also zu navigieren und das Flugzeug zu meistern, wenn Horizont und Boden nicht zu sehen sind.
Was sie auch nicht gelernt hatte war Risikomanagement. Die realistische Einschätzung von möglichen Gefahren und deren Wahrscheinlichkeit ist ein zentraler Aspekt in der Fliegerei. Auf dem Erdboden war das anders, da wurden Amelia dank ihres Charmes und ihres Standing sicherlich immer wieder geräuschlos Hindernisse aus dem Weg geräumt. Die natürlichen Elemente am nächtlichen Himmel aber ließen sich nicht bezirzen.
Man stirbt nur einmal
Amelia war auch verheiratet; genauer gesagt war sie eine strategische Allianz mit dem zehn Jahre älteren George Putnam, einem Verleger, Publizisten und PR Mann eingegangen. Der machte einen phantastischen Job in der Vermarktung seiner Gemahlin. Dabei war sie alles andere als ein dummes Püppchen. Sie war Mitglied in diversen Aufsichtsräten, hatte eine Firma für Mode und Accessoires für die moderne Frau, und sie tat alles, um die Fliegerei zu fördern. Was für eine Biographie!
Ihr mysteriöses Charisma, ihre Intelligenz, Energie und Furchtlosigkeit machten sie damals zur berühmtesten Frau der Welt und ihr früher, dramatischer Tod machten sie unsterblich. Wäre sie nicht ein besseres Role Model als Greta oder Luisa für die heutigen Teenager?
Auch wenn wir, dreimal geimpft, das Leben im ewigen Lockdown und in Sorge ums Klima verbringen, auch dann werden wir sterben, und zwar genau ein Mal. Das ist nicht mehr und nicht weniger, als wenn wir die Zeit bis dahin mit Abenteuern und Freude verbringen. Die Lust am Leben ist nicht gefährlicher, als die Angst davor.
Als Kind und junger Mann begab ich mich in zahllose Situationen, die zu Unfällen führten und mich verletzten. Mehrfach hätte ich sterben können! Davon wurde ich erst geheilt, als mein Herz Mitte der Achtziger an einem kupferfarbenen neuwertigen Audi 100 von 1978 hing. An der Fahrzeugvollversicherung hatte ich gespart. Das… Read more »
Ein wirklich schöner Artikel – undramatisch das Drama berichten … vielen Dank …
Den letzten Absatz hätte ich gerne fett gedruckt, in Rot an jeder Strassenlaterne …