published 04.02.2023

Bild: Bistum HIldesheim

Während der Monate Februar, März und April bringt THINK-AGAIN.ORG Auszüge aus dem Roman Stärker als das Schicksal über das Leben eines außergewöhnlichen Mannes. Der hat in den wichtigen Dingen des Lebens alles erreicht – wenn Sie mir dieses banale Urteil gestatten – und gleichzeitig das Dasein der Menschen in seiner Nähe sehr bereichert. Dabei hat er sich nie aufgeopfert; was ihn motiviert, sind der eigene Erfolg und die ehrliche Freude am Erfolg der anderen.

Er ist die Verkörperung der vielzitierten Worte von Emanuel Geibel:

Wenn etwas gewaltiger ist als das Schicksal,
so ist es der Mut, der es unerschüttert trägt.


Die Schicksalsgöttin

Mir ist durchaus bewusst, dass wir, Männer und Frauen, dazu neigen, unsere Siege der eigenen Leistung zuzuschreiben, die Niederlagen aber den widrigen Umständen. Aber die Charakterzüge, die uns stark und leistungsfähig machen, die uns zu Siegern machen, woher kommen die? Haben „wir“ die selbst geschaffen? Oder sind die vielleicht eher Folgen der „Umstände“? Was ist Schicksal und was ist eigene Leistung?

Ich schlage vor, wir schauen uns das genauer an.

Unendlich viele Alternativen stehen der Schicksalsgöttin zur Verfügung, wenn sie unseren Lebensweg auswählt, und sie wird immer wieder eingreifen, auch wenn wir längst mit eigenem Kompass unterwegs sind. Am reichhaltigsten aber ist ihre Auswahl, wenn wir noch ganz jung sind.

Da sind wir noch in der Lage, sehr schnell und spielend zu lernen, da lernen wir die Dinge, die uns für immer prägen und die wir uns später nicht mehr aneignen könnten. Wir lernen, zu laufen, unsere Muttersprache akzentfrei zu beherrschen oder komplizierte Sportarten zu meistern.

 

Der junge Tiger

Nehmen wir etwa Tiger Woods. Er ist fraglos einer der bedeutendsten Golfer aller Zeiten. In seinen Zwanzigern dominierte er die Szene nach Belieben, verschwand dann aber, aus privaten und gesundheitlichen Gründen, von der Bildfläche. Als er sich mit Anfang vierzig wieder in die Szene einschaltete, war man gespannt, ob ihm ein Comeback gelänge. Er beantwortete dann alle Fragen, als er 2019 das prestigeträchtigste aller Turniere gewann, die Augusta „Masters“ in den USA. Falls Sie sich für den Sport interessieren: Er hatte die vier Runden mit 13 unter Par beendet, einen Schlag besser als seine Verfolger.

Noch ein anderes Ergebnis des Tigers machte Geschichte, und zwar eine Runde von neun Loch, die er mit 12 über Par beendete. Damals war er vier, und sein Vater hatte ihn zum ersten Mal auf den Golfplatz mitgenommen. Der hatte schon früh das Talent seines Sohnes erkannt und fädelte systematisch dessen spektakuläre Karriere ein. So erlernte der Tiger in ganz frühen Jahren eine Beherrschung von Körper und Geist, die ihm später nicht mehr erreichbar gewesen wäre.

Was hat der Vater von Gerd, dem Helden unseres Romans, für seinen Sohn getan, als der vier war? Ist auch er mit ihm über den Golfplatz geschlendert, ist er mit ihm Angeln gegangen oder hat ihm beim Bau seiner Modellflugzeuge geholfen? Hat er sich ebenso liebevoll um seinen Spross gekümmert wie der Vater des Tigers? Urteilen Sie selbst.

 

Kollateralschäden

Als Gerd vier Jahre alt war, grub ihn sein Vater mit eigenen Händen aus den Trümmern eines Waisenhauses, unter denen die Leichen von Hunderten kleiner Kinder begraben waren. Sie waren der Kollateralschaden beim Kampf der Alliierten um den Sieg über Nazideutschland.

Hat es auf Erden schon einmal ein grausameres, ein unverzeihlicheres Verbrechen gegeben? Die Hölle hat keinen Boden. Es war März 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, als das Gebäude von britischen Bombern in Schutt und Asche gelegt wurde.

Es muss ein Bild weit jenseits der grausamsten Vorstellungen von Zerstörung und menschlichem Leid gewesen sein. Gerd war einer der ganz wenigen, die überlebt hatten.

Sein Vater war in einer Panzerfabrik interniert, die 35 Kilometer entfernt lag. Dort hatte man von der Tragödie gehört, und ihm wurde erlaubt, nach seinem Sohn zu suchen. Mit dem Fahrrad erreichte er die Stätte des Grauens. Und auch Gerd hätte nicht überlebt, wären der Vater und fremde Helfer bei ihrer Suche im Trümmerfeld nicht zufällig auf genau diejenigen Mauerreste gestoßen, unter denen er begraben lag.

War es Zufall, war es ein Wunder? Letzteres wäre nicht weit hergeholt, denn auch der Hildesheimer Dom, direkt nebenan, war zerstört worden. Die Überreste einer dicken Mauer jedoch hatten den Winkel des Waisenhauses geschützt, in dem sich Gerd befand, als die Bomben fielen.

War es ein Wunder?

Die Entstehung dieses Doms selbst geht übrigens auf ein Wunder zurück, auf einen heiligen Rosenstock, der vor mehr als tausend Jahren an diesem Ort entsprungen war und der seither jedes Jahr Blüten trug. Und auch dieses Jahr, nachdem die Bomben nichts als verbrannte Erde hinterlassen hatten, brachte der Rosenstock wieder frische Blüten hervor, um den Frieden und die Sonne willkommen zu heißen. Es war Frühling 1945, und der Krieg war zu Ende.

Solche dramatischen, frühkindlichen Erfahrungen formen einen Menschen für den Rest des Lebens. Da sagt dann die Oma über den erfolgreichen jungen Mann: „Ja, der war schon als kleiner Junge so.“ Auch wenn wir uns als Erwachsene dann vielleicht für intelligenter halten und glauben, Studium und Berufserfahrung hätten uns letztlich geformt – der eigentliche Prozess, der unsere Persönlichkeit prägte, fand in der Kindheit statt.

Was aus Tiger Woods geworden ist, das weiß jeder. Über das Leben meines Freundes Gerd aber soll dieses Buch berichten. Und vielleicht werden Sie später meiner Vermutung zustimmen, dass sich ein ganz bestimmtes Prinzip wie ein roter Faden durch sein Leben zieht, ein Vorsatz, den er als Vierjähriger völlig unbewusst in dieser fürchterlichen Stunde gefasst haben muss, als er unter Trümmern begraben um Atem rang und mit dem Tod um sein Leben kämpfte:

„Ich werde nicht aufgeben – nie und nimmer.“

 


UND HIER EIN FREUNDLICHER GESCHENK-TIPP

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1 Comment
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Majestyk
1 year ago

Hier muß ich mal ganz entschieden widersprechen. Die zivilen deutschen Opfer waren kein Kollateralschaden, sondern Opfer eines ganz bewußt geführten Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung. Jener Krieg der Alliierten inklusive Herrn Stalin galt aber auch nicht Hitler, sondern Deutschland.