published 19.11.2022

Bild: MEHEDI HASAN ( KΛΛSH ) / unsplash

 

Vielleicht haben auch Sie gelesen, dass hier und dort neu gegründete Firmen am Bau von  Fusions­kraftwerken unterschiedlichen Typs arbeiten, dass sie großzügig finanziert werden, und zwar nicht nur durch die öffentliche Hand, sondern von privaten Geldgebern. In den USA sollen da dieses Jahr schon insgesamt $5 Milliarden geflossen sein. Steht die ultimative Energiewende also dicht bevor?


Geil wie ein Bock

„Geld ist geil wie ein Bock und scheu wie ein Reh (F. J. Strauß)“. Hier ist ersteres der Fall, das Thema Kernfusion hat offensichtlich enorme Anziehungskraft auf Investoren. Ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Strom demnächst aus dieser idealen Energiequelle sprudeln wird?

Vorsicht: die Natur lässt sich nicht zum Narren halten und Atome lassen sich nicht bestechen. Schauen wir uns die Sache genauer an. Wichtig: Man baut derzeit keine Fusionskraftwerke, man betreibt Machbarkeitsstudien. Die sind zum Teil extrem aufwendig, aber sie haben bislang nur gezeigt, dass es so nicht geht. Das sind fraglos wichtige Erkenntnisse und Meilensteine, welche die Forschung voran bringen, und eines Tages wird vielleicht jemand rufen „Heureka, jetzt hat es funktioniert, wir haben es geschafft!“ und die Welt wäre alle Sorgen in Sachen Energie los.

Aber auch ab dann würde es noch ein oder ein paar Jahrzehnte dauern, bis eine industrielle Anlage gebaut ist, die Strom ins Netz speist. Fakt ist, dass man bis heute kein einziges Mal Energiegewinn durch kontrollierte Kernfusion erzielen konnte, auch nicht im Laboratorium.

 

Eine Bomben-Überraschung

Die Physik hinter der Kernfusion ist bekannt. Man muss ein Gemisch von sehr leichten Atomkernen in ausreichender Dichte auf hohe Temperatur bringen, so dass diese mit sehr großer Geschwindigkeit aufeinander prallen. Das Ganze muss man lang genug zusammen halten, dann beginnt die Fusion und liefert hoffentlich mehr Energie, als wir in die Sache investiert haben. Diese Bedingungen hat man auf Erden bislang nur in der Wasserstoffbombe schaffen können. Da wird eine „herkömmliche“ Atombombe aus Uran oder Plutonium mit Material zusammen gebracht, dessen Atomkerne verschmelzen sollen.

Die Amerikaner haben im Jahre 1954 in einem Test die Atomkerne von Deuterium und Lithium verschmolzen. Deuterium kommt mit geringer Häufigkeit im Wasser vor und Lithium ist ein leichtes, natürliches Element. Man hatte die Sache aber offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Die Bombe mit den Code Namen „Castle Bravo“ setzte statt der erwarteten sechs Megatonnen eine Energie von 15 Megatonnen frei.

Es muss ein apokalyptisches Ereignis gewesen sein und es muss den verantwortlichen Forschern und Militärs einen moralischen Schock von einigen Megatonnen versetzt haben. Jedenfalls blieb Castle Bravo die stärkste Bombe, welche die USA jemals gezündet haben. Das erwähnte Lithium ist übrigens dasselbe Material, das man in den Batterien unserer Laptops findet, die manchmal Feuer fangen. Aber das hat nichts mit Kernfusion zu tun.

 

Mit roher Gewalt

2011 ist in England eine Firma mit dem Namen First Light Fusion“ entstanden, ein „Spin Out“ der University of Oxford, welche nun friedliche Kernfusion auf ähnliche Weise herbeiführen will, wie oben beschrieben: durch rohe Gewalt. An stelle einer Atombombe setzt man ein Geschoss ein, welches mit hoher Geschwindigkeit auf ein Zielobjekt, ein „Target“ gefeuert wird, in dem sich die Substanz befindet, die fusionieren soll.

Das Projektil wiegt 100 Gramm und ist 6,5 km/sec schnell – das ist etwa zehnmal so schnell wie das Geschoss einer Flak, aber nicht schnell genug, um die Atomkerne im Target auf die notwendigen paar Promille der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Und da setzt First Light nun einen Trick ein, wie Sie ihn vielleicht schon im Zirkus gesehen haben: eine Wippe, die nicht symmetrisch ist. Auf dem langen Ende steht ein zierliches Mädchen im Glitzerkleid, und auf das kurze Ende springen zwei massive Kerle, die ein Vielfaches von deren Gewicht auf die Waage bringen. Vor den ungläubigen Augen des Publikums wird die Kleine nun hoch hinauf in die Zirkuskuppel geschleudert.

So ähnlich muss das wohl auch in besagtem Target funktionieren. Das Geschoss springt sozusagen auf das kurze Ende der Wippe und die Atomkerne auf der anderen Seite werden auf die vielfache Geschwindigkeit beschleunigt. Das jedenfalls ist wohl das Prinzip. Was nun tatsächlich im Inneren des Targets im atomaren Maßstab passiert, das verraten uns die Forscher von First Light nicht. Aber funktioniert es denn? Hat man Fusion bekommen?

 

Die verräterischen Teilchen

Was da in dem Target passiert, wenn das Geschoss eintrifft, das ist kein Kindergeburtstag, da ist die Hölle los. Wie soll man nun feststellen, ob in diesem Chaos Kernfusion stattgefunden hat?

Im Zentrum des Targets haben die Forscher von First Light etwas Deuterium untergebracht, in der Hoffnung, dass zwei Deuterium Kerne – jeder besteht aus einem Proton und einem Neutron – verschmelzen. Daraus entsteht dann ein Kern Helium 3 – bestehend aus zwei Protonen und einem Neutron. Es bleibt also ein Neutron übrig, welches mit hoher Geschwindigkeit seine eigenen Wege geht.

Freie Neutronen leben nur eine Viertelstunde und sind eine absolute Seltenheit, es sei denn, irgendwo in der Nähe findet Kernphysik statt. Würde man also nach so einem Schuss in der Umgebung des Targets Neutronen entdecken, dann wäre das ein ziemlich sicheres Zeichen, dass es Fusion gegeben hat.

Und – hat man denn nun Neutronen entdeckt? Heureka! Man hat: 50 Stück an der Zahl.

 

Vorsicht ist geboten

Es gab da schon einmal so eine Sache. 1989 hatten die beiden Chemiker Pons und Fleischmann bei der Elektrolyse von schwerem Wasser, also von D2O, einen mysteriösen Temperaturanstieg und zudem freie Neutronen beobachtet, die bei der Gelegenheit entstanden sein sollten. Und so interpretierten die beiden ihre Beobachtungen als kalte Kernfusion. Es war ein Irrtum und „Cold Fusion“ wurde zum Synonym für wissenschaftliches Wunschdenken.

Wir wünschen dem Team von First Light (das übrigens noch nicht so richtig gegendert ist), dass sie über die ersten 50 Neutronen hinaus noch viele weitere finden, und dass ihr Schuss in das Target kein Schuss in den Ofen war. Es wäre nicht nur schön für die Forscher und die Investoren, sondern auch für den Rest der Welt.

Falls in dem System dann tatsächlich reproduzierbar Fusion stattfindet, dann könnte nach eigenen Angaben in den dreißiger Jahren ein solches Kraftwerk Strom liefern. Bis dahin dürfen wir eben noch nicht warm  duschen, wenn überhaupt.

 


 

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Klaus-Peter Kostag
1 year ago

Geothermie: Die Erde strahlt täglich viermal mehr Energie in den Weltraum ab, als Mensch gebrauchen kann. Mit etwa Ähnlichem wie dem STIRLING-Motor leiße sich das Eine oder andere Quäntchen abzweigen. Sooo einfach.