published 13.04.2024

Bild: Turismo Chile

Der neue argentinische Präsident Javier Milei hat viel vor: die Zentralbank auflösen, den Staatsapparat mit der Kettensäge halbieren und die Wirtschaft von allen Fesseln befreien. So will er das geplagte Land vor dem Kollaps bewahren und zu neuem Wohlstand führen. Unmöglich? Nein – der Nachbar Chile hat genau dieses Wunder vollbracht.


Alter Glanz und neuer Reichtum

Kennen Sie den Charme von Häusern, die in Epochen des Wohlstands geschaffen wurden, aber dann in Zeiten der Entbehrung gealtert sind? Diese morbide Eleganz liegt über Buenos Aires, der Metropole des Tango am Rio de la Plata; und sie entspricht der Geschichte Argentiniens: Vor hundert Jahren war Argentinien eines der zehn reichsten Länder, heute liegt es auf Platz 60.

Gemessen am pro Kopf GDP ist Argentinien also Dritte Welt. Politische Inkompetenz, Korruption und Überheblichkeit haben das Land dorthin gebracht. Der neue Präsident Javier Milei hat nun versprochen, den Verfall zu stoppen, Wirtschaft und Gesellschaft aus der Sackgasse zu befreien und das Land auf den Weg zu neuem Wohlstand zu bringen. Das erfordert schmerzhafte Maßnahmen; liebgewonnene Privilegien müssen verschwinden und ideologische Widerstände beseitigt werden. Damit das gelingt, muss Milei nicht weniger vollbringen als ein Wunder. Ist so etwas möglich? Die Antwort ist „Ja“.

Gut 1000 Kilometer westlich von Buenos Aires, hinter der gewaltigen Gebirgskette der Anden liegt Santiago. Welches Flair findet man dort? Hier ist es weder morbide noch elegant. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Die Stadt ist wie im Zeitraffer in die Höhe und in die Breite gewachsen. Konnte man sich früher im Gewirr der Straßen an den Gipfeln der Anden orientieren, so wird dieser Blick heute in allen Himmelsrichtungen durch gigantische Wolkenkratzer versperrt. Der stolzeste unter ihnen, „La Gran Torre“, ist mit 300 Metern das höchste Gebäude Südamerikas.

Neue Stadtautobahnen haben sich wie ein Teller Spaghetti auf den Grundriss der Stadt gelegt, aber trotz kilometerlanger Unterführungen braucht man immer zwei Stunden, um von A nach B zu kommen. Die Straßen quellen über mit SUVs, in denen Kinder zum Sport chauffiert werden, oder Señoras einen Parkplatz vor dem Coiffeur ihrer Wahl suchen.

Mit anderen Worten, Santiago hat all das, was den Begriff „nouveau riche“ ausmacht.

 

Die Chicago Boys

Ja, Chile ist neureich und selbstbewusst, und es hat dieses Selbstbewusstsein durchaus verdient; es ist heute das erfolgreichste Land Südamerikas. 1987 lebten hier 62% der Bevölkerung in Armut, 2023 waren es nur noch 5%. In den 30 Jahren von 1980 bis 2010 ist dem Land der Sprung von der Dritten in die Erste Welt gelungen. Das war das „Milagro de Chile“, das chilenische Wunder. Und das kam so:

1970 wurde Salvador Allende chilenischer Präsident. Er folgte dem sozialistischen Vorbild Cubas und verstaatlichte wichtige Industrien. Zusammen mit dem Boykott durch die USA führte das zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes, zu Unruhen in der Bevölkerung und zum Militärputsch im September 1973. Die neuen Machthaber griffen nun auf ein wirtschaftliches Konzept zurück, das Jahre zuvor von chilenischen Ökonomen, den „Chicago Boys“, unter der Leitung von Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman der University of Chicago ausgearbeitet worden war.

Viele von den Chicago Boys bekamen jetzt Positionen in der Militärregierung unter Pinochet und konnten die Wirtschaft des Landes wie auf einem weißen Blatt Papier neu konzipieren: streng marktwirtschaftlich, kapitalistisch, verbunden mit der Privatisierung wichtiger Institutionen, etwa der Sozialversicherung. Dieser Schritt wir heute im Rückblick als entscheidender Faktor in Chiles phantastischem Aufschwung bewertet.

 

Diktaturen

Viele der Veränderungen im System stießen natürlich bei dem einen oder anderen Teil der Bevölkerung auf Ablehnung, wurden aber dennoch durchgesetzt – man lebte ja in einer Diktatur. In dem Maße aber, wie die Erfolge der Wirtschaftspolitik fühlbar wurden, gewann die Regierung an Unterstützung und die Grausamkeiten des Putsches gerieten in den Hintergrund. 1980 wurde Pinochet von der Bevölkerung in einem Plebiszit mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt, acht Jahre später verlor er bei einer erneuten Abstimmung, und Patricio Aylwin wurde neuer Präsident. Dieser sanfte Übergang in die Demokratie wird als die andere Hälfte des chilenischen Wunders betrachtet.

Man hat Milton Friedman vorgeworfen, er hätte dem General Pinochet geholfen. Hat er das? Friedman hat dem Land geholfen, nicht dem Diktator. Pinochet ist heute tot, aber Chile erfreut sich des Wohlstands.

Ein Diktator, der Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat, kann seine Schuld durch nichts wieder gut machen, er kann sie nur noch verschlimmern. So hatte etwa Fidel Castro während eines halben Jahrhunderts kommunistischer Diktatur ein Vielfaches an politischen Morden zu verantworten. Aber er hat diese Schuld noch verschlimmert, indem er das Land über all die Jahre in elendster Armut gehalten hat. Dennoch wird er von vielen in ihrer naiven Wahrnehmung als Held gefeiert.

 

Das „argentinische Paradoxon“

Was kann Argentinien von Chile lernen? Die beiden Länder sind wie Brüder, sie haben viel gemeinsam, sind aber auch Konkurrenten. Argentinien ist der größere der beiden mit 45 Millionen Einwohnern, Chile hat nur 18 Millionen. Ist der größere Bruder bereit, vom kleineren zu lernen?

Beide Länder haben natürliche Ressourcen im Überfluss und dazu eine hoch entwickelte Kultur und gute Ausbildungsstandards. Was fehlt also noch zu wirtschaftlichem Erfolg? Wieso ist Argentinien so arm? Was ist das „Argentinische Paradoxon“.

Ursache ist die instabile Politik des Landes, die durch zu viel Irrationalität und zu wenig Kontinuität zu einer verhängnisvollen Berg- und Talfahrt geführt hat. Politik muss durch Fakten, Logik und Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden. Argentinien braucht jetzt Profis in Sachen Wirtschaft, die genug Autorität haben, um Entscheidungen treffen und durchsetzen zu können. Jetzt helfen keine „Evitas“, jetzt braucht man „Chicago Boys“. Das kann der große Bruder vom kleineren lernen.

Es hätte da den idealen Mentor für den frisch gebackenen argentinischen Präsidenten gegeben: Sebastián Piñera, zweimaliger Präsident Chiles, erfolgreicher Unternehmer, Milliardär und Bruder  des Chicago Boys José Piñera. Der interessierte sich sehr für Mileis Politik und gab Ihm in den Medien bereits gute Ratschläge. Dabei sollte es allerdings bleiben. Piñera verunglückte im Februar 2024 tödlich, als der Helikopters, den er selbst steuerte, in einen See stürzte.

In Sachen Militärdiktatur allerdings braucht Argentinien nichts von Chile zu lernen, da hat das Land selbst mit Videla, Galtieri und vielen anderen genügend schlechte Erfahrungen gemacht. Wollen wir Argentinien also – mit Mileis eigenen Worten – alles Gute wünschen:

“Viva la libertad, viva Argentina, carajo”

(Lang lebe die Freiheit, lang lebe Argentinien, verdammt noch mal)

 

 (In eigener Sache: ich habe von 1977 bis 1986 in Chile gelebt. Wann immer ich in dieser Zeit Deutschland besuchte, fragte mich niemand, wie es dort wäre; jeder erklärte mir, wie es dort sei. Falls es Sie interessiert: Die Vorkommnisse während der chilenischen Diktatur sind inzwischen genau analysiert und dokumentiert worden.)


UND HIER EIN FREUNDLICHER GESCHENK-TIPP

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3 Comments
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Gustl Grillenberger
12 days ago

Wird Chile der BRD (Rückschau ab80er) folgen? Wohnraum wird teuer, Paare zu Doppelverdienern (max.Steuersatz) ? Sie verschleißen sich und ihr Material auf den 2 Std.Distanzen ? Scheidungsrate gegen 50%, die Hälfte des Landes ist damit latent außer Kraft, Workoholics verschieben Kinderwünsche, reproduzieren sich kaum noch. Zeitwohlstand wird auch im Genpool… Read more »

Cornelius Junghans,Dr.
16 days ago

Ich empfehle zur Ergänzung: misesde.org Javier Milei : 100 Tage libertäre Revolution ; Fazit aus der Geschichte wieder einmal: Sozialismus führt zu Armut und Knechtschaft (nach Hayek ).

Klaus-Peter Kostag
16 days ago

Der großartige Herr Milei hat sich sofort von der Seuche BRICS PLUS distanziert und baut auf die härteste Macht der Welt, damit auf Gott: Den amerikanischen Dollar . . .

Anstatt RISK also FUN. Großartiger Stratege, der Herr Milei.