published 31.05.2025
Der deutsche Kanzler windet sich wie ein Lurch, der auf schlammigem Untergrund nach Halt sucht. Es geht um die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus in die Ukraine, und um dessen Reichweite. Weiß er, dass Deutschland 1987 unter Parteifreund Kohl ein internationales Abkommen unterzeichnet hat, welches den Export genau dieser Waffengattung verhindern soll? Und auch den Export entsprechender Produktionsanlagen?
Game Changer
Marschflugkörper verrichten das zerstörerische Werk, das früher von Bombern erledigt wurde, wie im Zweiten Weltkrieg durch die Avro Lancaster oder die Boeing B15. Dabei waren Flugzeug und Besatzung selbst dem Risiko der eigenen Vernichtung ausgesetzt. Marschflugkörper dagegen haben keinen Piloten an Bord und kosten nur den Bruchteil eines militärischen Flugzeugs. Für den Taurus wird ein Preis von ca. zwei Millionen Dollar angegeben, ein F35 Jet kostet über 100 Millionen. Zwar muss der Taurus von einem Flugzeug abgefeuert werden, das kann jedoch im „stand off“ Modus geschehen, also ohne in feindlichen Luftraum einzudringen.
Mit dem Aufkommen der Marschflugkörper konnte mit wesentlich geringerem Aufwand und mit weniger Risiko dem Feind ein enormer Schaden zugefügt werden. Auch Nationen, die sich keine eigene Luftwaffe mit Bomberflotte, oder eine hoch entwickelte Rüstungsindustrie leisten könnten, kommen so in die Lage, einer Weltmacht einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Sie brauchen nur bei einer befreundeten Industrienation solch eine Waffe einzukaufen.
Um genau das zu verhindern, wurde 1987 durch die G7-Staaten das „Missile Technology Control Regime (MTCR)“ initiiert. Die Unterzeichner verpflichten sich, den Export von Raketen und Marschflugkörpern mit einer Reichweite von mehr als 300 km und einer Nutzlast von mehr als 500 kg zu unterlassen, sowie auch deren Produktionsanlagen. Genau das aber sind die Charakteristika des Taurus, denn falls die Ukraine tatsächlich Ziele in Moskau angreifen wollte, dann sind mehr als 300 km Reichweite erforderlich, sofern das Trägerflugzeug nicht weit in russischen Luftraum eindringen soll.
Kein unbekanntes Flugobjekt
Der Taurus ist ein Flugapparat, so lang (5 m) und so schwer (1,5 t) wie ein größeres Auto, mit einer Spannweite von 2 Metern. Mit solchen Stummelflügeln würde der schwere Apparat bei rollendem Start niemals vom Boden abheben. Deshalb wird er unter ein Flugzeug gehängt, etwa eine McDonnell Douglas F-15, und dann bei hoher Geschwindigkeit (ca. 900 km/h) ausgeklinkt.
Jetzt ist er ein autonomes Flugzeug, mit Autopiloten, Navigationssystemen und einer halben Tonne Sprengstoff an Bord. Die genauen Zielkoordinaten samt Route, sind bei der Einsatzplanung am Boden programmiert worden. Angetrieben wird der Taurus von einem “Turbofan“ mit 7 kN Schub; diese Kraft entspricht etwa der Hälfte seines Gewichts. Turbofans treiben in größerer Ausführung, und für eine längere Lebensdauer ausgelegt, auch unsere Airliner an.
Der Treibstoff reicht mindestens für einen 45-minütigen Flug, das ergibt gut 500 km, auf Wunsch ist auch ein größerer Tank zu haben. Und noch etwas: der Taurus ist in der Lage, sein Ziel zu erkennen. Er hat ein dreidimensionales digitales Modell davon gespeichert und vergleicht es beim Anflug mit dem, was seine Kamera sieht. Und was würde passieren, wenn er sein Ziel nicht zu Gesicht bekäme? Dann fliegt er weiter zu einem vorprogrammierten Ort, an dem er sich schadlos in die Luft sprengt. (Janes.com)
Der Spieß wir umgedreht
Wie sähe nun ein Taurus-Einsatz in der Praxis aus?
Drehen wir dazu den Spieß um: Nehmen wir an, auch Russland hätte so einen Taurus zur Verfügung – eine vermutlich ganz realistische Annahme.
Von der Luftwaffenbasis Levashovo bei St. Petersburg startet eine Suchoi 57 mit solch einer Waffe unter dem Rumpf, nimmt Kurs nach Westen und steigt auf die übliche Flughöhe. Bald ist sie über der Ostsee und wird auf den Radarschirmen der estnischen und finnischen Luftüberwachung sichtbar. Für die ist das keine Überraschung, denn russische Piloten machen hier gerne ihre „Dogfights“.
Eine halbe Stunde später dreht die Suchoi nach Südwesten und setzt ihren Flug über Wasser fort. Nach einer weiteren halben Stunde, in der Nähe der Insel Bornholm, drückt der Pilot einen roten Knopf. Für den Taurus ist es das Signal, sein Triebwerk anzulassen und sich auszuklinken, worauf die Suchoi eine steile 180° Wende macht und wieder nach Hause fliegt.
Auf sich allein gestellt
Der Taurus ist jetzt auf sich allein gestellt. Als Erstes verlässt er seine Flughöhe und geht in steilem Sinkflug auf 10 oder 20 Metern über dem Wasser. Jetzt ist er unter dem Radar. Eine ganze Palette von Systemen zeigt ihm seine genaue Position an. Falls das GPS gestört sein sollte, benutzt er sein INS (Inertial Navigation System), dann hat er noch eine Kamera an Bord, welche die Landschaft beobachtet und mit der digitalen Landkarte des Bordcomputers vergleicht. Über Wasser ist das zwar keine Hilfe, aber das Bordradar erkennt die Küstenlinie, und aus all diesen Daten kann der Taurus seine Position auf ein paar Meter genau berechnen.
Um seinen Bestimmungsort zu erreichen, fliegt er weiter Kurs Südwest, und zwar mit Mach 0,9, das sind 300 Meter pro Sekunde oder 18 Kilometer in der Minute. Nach 10 Minuten ist er über der Bucht von Greifswald und dreht nach Süden. Unter ihm ist jetzt die Mecklenburger Landschaft, die er mithilfe seines TFR („Terrain Following Radar“) in geringer Höhe, aber mit unverminderter Geschwindigkeit überfliegen kann. Nach weiteren 10 Minuten hat er die Stadtgrenze von Berlin erreicht. Jetzt zieht er steil nach oben, um sein genaues Ziel, wie ein Adler, aus großer Höhe zu identifizieren.
Und da ist es auch gefunden: Der rechteckige Grundriss mit der Kuppel in der Mitte lässt keinen Zweifel daran, genau so ist es in seinem Programm gespeichert. Der Taurus stürzt sich jetzt von oben herab genau mitten in sein Ziel hinein. Zuerst zündet die „Penetration Charge“, das ist die kleinere Ladung, die zum Durchdringen einer möglichen Schutzwand notwendig ist. Sie zerfetzt die gläserne Kuppel in tausend kleine Splitter. Nach einigen Millisekunden explodiert dann die eigentliche große Bombe von ca. 400 Kilo und legt das Reichstagsgebäude, von innen heraus, in Schutt und Asche. Das Schicksal der Menschen darin: unvorstellbar.
Die Suchoi wird in ein paar Minuten unversehrt wieder in Levashovo landen.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Der Taurus ist offensichtlich alles andere als generisches Rüstungsmaterial. Über den Export, und damit den Bruch des Missile Technology Control Regime hinaus, wäre der Lieferant zwangsläufig mehr oder weniger aktiv am Einsatz jedes einzelnen Flugkörpers beteiligt. Das ist anders als beim Verkauf von Munition für Sturmgewehre. Wenn da die Ware über den Ladentisch geschoben ist, kann der Lieferant sie vergessen; er braucht nicht zu wissen, wo und wie sie eingesetzt wird. Der Autopilot des Taurus dagegen muss mit einem Flugplan für seinen spezifischen Einsatz gefüttert werden, so wie aus dem oben beschriebenen Beispiel ersichtlich. Dafür bedarf es großer Mengen präziser, möglicherweise auch geheimer geographischer und militärischer Daten. Und es bedarf gut ausgebildeter Spezialisten, um auf Basis dieser Daten und dem Ziel der Mission das Profil des Einsatzes auszuarbeiten.
Vermutlich sind solche Experten nicht sehr zahlreich und sicherlich könnten sie ihr Wissen nicht in ein paar Tagen dem Personal der kriegsführenden Militärs vermitteln, ohne sich selbst dabei an der konkreten Mission zu beteiligen. Egal was für eine Uniform diese Experten dann anziehen würden, Deutschland als Lieferant des Taurus wäre dann quasi im Krieg mit Russland. Kann das irgendjemand, der noch bei Sinnen ist, tatsächlich verantworten?
Danke, Herr Hofmann-Reinecke, für den wertvollen Hinweis auf MTCR!
Das Biegen und Brechen von Verträgen ist unfassbar.
Vorschlag für das nächste Kapitel Ihres phantasy comics: Die Minuteman (sic!).
Danke für die eindrückliche Erklärung, wie die Taurus funktioniert und operiert. Ich kann mir vorstellen, dass die Mehrheit unserer Politiker (alles Nachkriegskinder) keine Vorstellung davon hat, womit sie da Angst, Schrecken und “Haltung” demonstrieren will als ginge es um Äpfel und Birnen. Allen voran unser Black Rock-Kanzlers.