published 12.10.2024

Bild: The Guardian

 

Vor zwei Wochen verstarb Kris Kristofferson. Er hinterlässt nicht nur  acht Kinder, sondern einen Korb voller Lieder aus einer Zeit, in der die Liebe und die Lust am Leben wichtiger waren als Klima und Gender. Einer seiner Songs ist diesem Thema gewidmet.


Den Mississippi abwärts

Die Geschichte ist schnell erzählt: Baton Rouge ist eine unauffällige Großstadt am Mississippi, allenfalls bekannt für ihre folkloristische Küche. Da war ein Mädchen, das war unglücklich, und alles was sie hatte war kein Geld. Sie war auf dem Weg zum Bahnhof, um irgendwie nach New Orleans zu kommen, gut eine Stunde flussabwärts. Das Wetter war so trostlos wie ihre Seele, und es fing an zu regnen. Da traf sie auf Bobby, der es per Anhalter versuchte. Ein Truck hielt und nahm die beiden mit- die ganze Strecke.

Man machte es sich im Cockpit gemütlich, Bobby spielte Gitarre und sie begleitete ihn auf der Harp. Der Fahrer summte mit und die Scheibenwischer schlugen im Takt, denn es hatte angefangen zu regnen. Und da wurde ihr klar: frei ist man nur, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Und dann ist es so leicht, glücklich zu sein, besonders, wenn Bobby den Blues singt.

Die beiden blieben zusammen, reisten durch das weite Land und hatten keine Geheimisse vor einander. Aber dann, in Kalifornien, in Salinas, da passte sie nicht auf ihn auf und er verschwand ganz plötzlich. Das machte sie traurig, und sie würde jetzt all ihre Zukunft für ein einziges Gestern tauschen, mit Bobby an ihrer Seite, der sie warm hält. Es war so einfach glücklich zu sein, wenn Bobby den Blues sang. Aber jetzt war er verschwunden, und sie hofft, dass es ihm gut geht.

 

Wie das Leben so spielt

Was ist aus den beiden geworden? Lassen sie uns ein wenig phantasieren: das Mädchen suchte nach der Trennung ihr Glück in Drogen. Das ging nicht gut und sie verstarb  im Oktober 1970, gerade mal 27 Jahre alt. Ihr Name: Janis Joplin. Aber Bobby, genauer gesagt Bobby  McGee, alias  Kris Kristofferson hatte noch ein langes Leben vor sich, und er würde noch so manchem hübschen Mädel den Blues singen. Er verstarb vor zwei Wochen mit 88 Jahren im Kreise seiner Familie, und er hinterlässt acht Kinder. Er war nicht nur Songwriter und Country-Sänger, er war auch als Helikopterpilot für die US Army in Vietnam unterwegs und hatte einen Master in Literaturwissenschaften.

Was ihn aber berühmt machte war nicht zuletzt das 1969 geschriebene „Me and Bobby McGee“.  Die beiden sind natürlich keine historischen Figuren, und, altmodisch wie man damals war, ist Bobby ein Kerl, wenn das Lied von einer Frau gesungen wird, wie hier, und umgekehrt eine Frau, wenn es ein Mann singt, so wie hier.

Mit Kris ist einer der letzten Giganten gegangen, der eine Epoche  verkörperte, in der Freiheit, Freude und Liebe das Leben färbten, und in der Toleranz nicht gepredigt, sondern gelebt wurde. Heute, gerade mal ein halbes Jahrhundert später, wird uns vorgeschrieben, wovor wir Angst haben müssen, welche Vokabeln wir vermeiden müssen, und welche verwenden, um akzeptiert zu sein. Die einzige Freiheit die wir haben besteht darin, einmal pro Jahr das Geschlecht zu wechseln. Das konnte aber  Bobby McGee damals auch schon. Und heute würden die beiden neben dem Fahrer nicht mit Gitarre und Mundharmonika spielen, sondern mit ihren Smartphones. Das ist Fortschritt. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

Wäre man damals in eine Zeitmaschine gestiegen und hätte eine  Dokumentation des Lebens in den heutigen Zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts gedreht, der Film wäre damals in einem dieser Programmkinos gezeigt worden,  wo sonst  Orwells 1984 oder Huxleys Brave New World laufen.


UND HIER EIN FREUNDLICHER GESCHENK-TIPP

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2 Comments
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Hugo Olsen
1 month ago

…nicht zu vergessen sind die vielen Filme, in den Kris Kristofferson spielte: Kris Kristofferson – FILMSTARTS.de

Friederike
1 month ago

Schöner Nachruf, bei dessen Lesen sich Wehmut einschleicht. Danke.
Die gelebte Freiheit erfordert Mut. Die postulierte Freiheit ist Ausdruck ihres Gegenteils und Weltfremdheit.